By Published On: 30. September 2025Categories: Kommunikation

„Ein Lächeln kostet nichts“ – doch viele Verkäufer:innen erleben im Alltag stattdessen unfreundliche Kommentare, aggressive Beschwerden oder Gleichgültigkeit. Hinzu kommt: Auch von den eigenen Unternehmen fühlen sich viele nicht ausreichend wertgeschätzt. Schlechte Bezahlung, zu wenig Personal und kaum Rückhalt von Vorgesetzten machen den Job zusätzlich zur Belastungsprobe. Kein Wunder also, dass viele ihre Arbeit als kräftezehrend empfinden. Schon vor Corona war fehlende Anerkennung einer Hauptgrund für Unzufriedenheit. Der Arbeitsklima-Index zeigt: Seit 2020 hat sich die Zahl psychisch stark Belasteter im Handel verdoppelt – inzwischen ist fast jede:r Fünfte betroffen (Muckenhuber, 2024, S. 64-65). Gleichzeitig wird es für Unternehmen immer schwieriger, Kund:innen langfristig zu binden: Nur etwa 50 % vertrauen Markenversprechen und 80 % an, dass sie bei einer schlechten Erfahrung ihre Kundenbeziehung abbrechen würden (Benning-Rohnke & Hasebrook & Pütz, 2023, S.111).

Druck im Job – und wachsende Aggression
Die Arbeitswelt in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist von tiefgreifenden Umbrüchen geprägt: Demografischer Wandel, technologische Entwicklungen und Fachkräftemangel erhöhen den Druck auf Unternehmen und Beschäftigte – und machen kontinuierliche Anpassung und Weiterbildung unverzichtbar (Kochhan & Cichecki, 2024, S.5).  In diesem ohnehin angespannten Umfeld kommt ein weiteres Problem hinzu – sogenanntes „dysfunktionales Kundenverhalten“. Gemeint ist damit, dass Kund:innen durch ihr Verhalten Normen der Interaktion verletzen und dadurch die Zielerreichung der beteiligten Personen oder Organisationen behindern (Plein, 2016, S.23).  Im Alltag erleben viele Beschäftigte Respektlosigkeit oder sogar offene Anfeindungen. Aggression am Arbeitsplatz kann viele Gesichter haben: Beleidigungen, Drohungen, Diskriminierung, Mobbing, sexuelle Belästigung, Stalking – im Extremfall durch körperliche Angriffe. Besonders häufig ist dabei verbale Gewalt, etwa in Form von Beschimpfungen (Pressel, 2024, S. 27,29). Dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, zeigen auch die Unfallzahlen: Jährlich werden zwischen 12.000 und 20.000 Vorfälle mit Gewalt oder Bedrohungen registriert; 2022 waren es rund 13.000 (Pressel, 2024, S. 66).

Warum Kund:innen ausrasten – ein Blick hinter die Fassade

  • Frust, Projektion & Co.: Was im Kopf der Kund:innen passiert
    Die Verhaltensforschung unterscheidet zwei Sichtweisen darauf, warum Menschen reagieren, wie sie reagieren. Das Reiz-Reaktions-Modell (S-R-Modell) erklärt Verhalten als direkte Antwort auf äußere Reize – etwa eine Preiserhöhung, eine lange Warteschlange oder eine unfreundliche Bemerkung. Innere Prozesse wie Gefühle oder Gedanken bleiben dabei unberücksichtigt. Deutlich näher an der Realität ist das erweiterte Stimulus-Organismus-Response-Modell (S-O-R-Modell). Es zeigt, dass zwischen Reiz und Reaktion immer auch ein „Organismus“ steht – also Erfahrungen, Erwartungen, Stimmungen oder Bedürfnisse. Im Einzelhandel bedeutet das: Aggressionen entstehen nicht allein durch die Situation im Geschäft, sondern auch durch psychologische Faktoren wie Frustration über unerfüllte Erwartungen, Projektion von Stress aus anderen Lebensbereichen auf Verkäufer:innen und unbewusste Motive wie das Bedürfnis nach Kontrolle oder Anerkennung (Chlupsa, 2022, S.82-84).
  • Wenn Wertschätzung fehlt – wie kleine Signale Konflikte schüren
    Auch soziale Einflüsse spielen eine Rolle dabei, wie Kund:innen reagieren. Ein entscheidender Punkt ist die Qualität der Begegnung: Kund:innen wollen nicht nur Produkte kaufen, sondern als Menschen mit Bedürfnissen, Emotionen und Erwartungen ernst genommen werden. Fehlt diese Wertschätzung – etwa wenn Verkäufer:innen nur oberflächlich freundlich sind, kein echtes Interesse zeigen oder Kund:innen sich nicht willkommen fühlen –, sinkt das Vertrauen und Konflikte entstehen leichter. Umgekehrt zeigt die Erfahrung: Authentizität, ehrliches Zuhören und eine persönliche Ansprache schaffen Vertrauen und reduzieren Spannungen. Werden Kund:innen nur als Datensatz behandelt oder mit Floskeln abgespeist, fühlen sie sich missachtet – ein Nährboden für Gereiztheit (Löser, 2024, S.192-227).
  • Handel im Umbruch: Warum Stress im System auf den Verkaufsraum trifft
    Auch ökonomischer Druck kann Aggressionen im Verkaufsalltag fördern. Der stationäre Handel kämpft seit Jahren mit Konkurrenz durch den Onlinehandel, sinkender Kaufbereitschaft und demografischem Wandel. Dazu kommen Leerstände in Innenstädten und starre Vorgaben wie Denkmalschutz oder Ladenschlussgesetz. Für Händler bedeutet das steigende Kosten und Unsicherheit – eine Atmosphäre, in der überforderte Mitarbeitende und frustrierte Kund:innen leichter aneinandergeraten (Berentzen & Hoog, 2025, S.111-120).

Die stille Last: Was Aggression mit Beschäftigten macht
Gewalt am Arbeitsplatz kann vielfältige Folgen haben: Betroffene entwickeln oft Ängste, Schlafstörungen, Selbstzweifel oder Depressionen und ziehen sich sozial zurück. Häufig treten auch körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Bluthochdruck oder andere psychosomatische Probleme auf. Beruflich zeigen sich sinkende Motivation, Konzentrationsschwächen, Fehlzeiten bis hin zu Kündigung oder Arbeitsplatzwechsel. Wie stark die Folgen ausfallen, hängt von der Art der Gewalt, der persönlichen Widerstandskraft und der vorhandenen Unterstützung ab (Pressel, 2024, S. 27-62).

Was wirklich hilft: Strategien gegen eskalierende Kund:innen
Ein professioneller Umgang mit Beschwerden ist eine der wirksamsten Strategien, um eskalierende Kundensituationen zu entschärfen. Dabei reicht es nicht aus, nur sachlich korrekt zu reagieren – entscheidend ist die menschliche Seite. Beschäftigte sollten Kund:innen das Gefühl geben, verstanden zu werden und dass man sich ernsthaft bemüht, eine Lösung zu finden. Gerade weil viele Probleme im Handel nicht auf offensichtliche Fehler zurückzuführen sind, sondern auf subjektive Erwartungen – etwa mehr Aufmerksamkeit oder bessere Beratung –, kommt es auf Empathie und eine klare innere Haltung an. Wer seine Rolle als „Dienst-Leister“ verinnerlicht, zeigt Kund:innen, dass ihre Anliegen ernst genommen werden und dass Verlässlichkeit, Aufmerksamkeit und echte Unterstützung im Mittelpunkt stehen. Damit wird Beschwerdemanagement nicht nur zur Problemlösung, sondern zu einem wichtigen Instrument, um Vertrauen aufzubauen und Konflikten vorzubeugen (Herlan, 2021, S.25).

Schlussgedanke: Mehr Respekt, weniger Stress
Aggressives Kundenverhalten ist längst kein Randphänomen mehr, sondern belastet den Alltag vieler Beschäftigter im Einzelhandel. Die Ursachen reichen von psychologischen Spannungen über fehlende Wertschätzung bis hin zu wirtschaftlichem Druck – und die Folgen sind oft schwerwiegend. Umso wichtiger ist es, Mitarbeitende durch klare Strukturen, Training im Beschwerdemanagement und vor allem echte Wertschätzung zu stärken. Denn: Ohne Respekt und Unterstützung im Inneren gibt es auch keine begeisterten Kund:innen nach außen. Kundenzentrierung beginnt immer beim Menschen, der täglich das Gesicht des Unternehmens ist.

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