By Published On: 31. März 2022Categories: Wiki

„Ein Zittern in der Hand, Anzeichen einer Nervenerkrankung? Bauchschmerzen, ein Hinweis auf Darmkrebs? Und die Erkältung von neulich, vielleicht das erste Anzeichen für eine schwere Immunerkrankung?“ So beginnt Lutz Schneider (2019, S. 11) das Vorwort zu seinem Buch „Hypochonder – Die Angst vor Krankheiten verstehen und sich davon befreien“. In unserer Gesellschaft werden Hypochonder für hysterisch und sensibel gehalten. Für Betroffene und Angehörige sowie unser Gesundheitssystem ist diese Erkrankung sehr belastend (Deutsches Ärzteblatt, 2010, S. 556).

Das Störungsbild

Die hypochondrische Störung ist eine somatoforme Störung, bei der die Betroffenen sich ständig mit der Möglichkeit beschäftigen, eine oder mehrere körperliche Krankheiten zu haben. Dabei werden normale Körperempfindungen als Symptome bestimmter Erkrankungen wahrgenommen und interpretiert. Der Fokus liegt meist auf ein oder zwei Organen oder Organsystemen (DIMDI, 2018). Im Vergleich zu anderen somatoformen Störungen stehen bei der hypochondrischen Störung nicht die körperlichen Beschwerden, durch die das Leid entsteht, im Mittelpunkt, sondern die Angst bzw. die Überzeugung, dass diese Symptome der Beweis für eine körperliche Erkrankung sind (Deutsches Ärzteblatt, 2010, S. 556).

Krankheiten, vor denen sich Betroffene häufig fürchten sind Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Aids, Krebs und neurologische Erkrankungen wie bspw. Demenz oder Multiple Sklerose. Der Leidensdruck, der durch diese Angst entsteht, ist je nach Person auf einem Kontinuum von leichten Beeinträchtigungen bis zu Arbeitsunfähigkeit unterschiedlich (Bleichhardt & Weck, 2019, S. 7).

Symptome

Symptome, die die Ängste auslösen, sind vielfältig. Sie reichen von Kopfschmerzen, Herzklopfen, Schwindel, Blutergüssen über Muskelzuckungen, Magen- oder Darmbeschwerden, Hautveränderungen und vieles mehr (Bleichhardt & Weck, 2019, S. 7). Die Symptome selbst wären für die Betroffenen nicht so schlimm, wenn nicht Angst vorhanden wäre, z. B. einen Hirntumor zu haben, dadurch nicht mehr sprechen zu können oder vorzeitig zu sterben. Diese Ängste führen zu Stress, was wiederum eine erhöhte physiologische Erregung bedingt. Als Folge treten Herzklopfen, Nervosität, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Ruhelosigkeit oder Muskelverspannungen auf, worüber erneut Ängste entstehen (Bleichhardt & Weck, 2019, S. 9). Das sogenannte Body Checking gehört auch zu den Symptomen einer hypochondrischen Störung. Dabei wird der Körper kontrolliert, indem z. B. sämtliche Körperstellen aus Angst vor Krebs abgetastet werden oder Blutdruck und Puls häufig gemessen werden (Bleichhardt & Weck, 2019, S. 12).

Betroffene nehmen oft verschiedene Medikamente ein, um die Symptome loszuwerden. Als Nebenwirkungen entstehen dadurch wieder Symptome, was erneut falsch gedeutet wird (Kasten, 2020, S. 6). Ebenfalls werden viele verschiedene Ärzte aufgesucht, um sich rückzuversichern (Caspar, Pjanic & Westermann, 2018, S. 120). Zusätzlich informieren sich Betroffene bei Angehörigen, im Internet, bei Krankenkassen, über Bücher oder sonstigen Ratgebern über ihre Symptome. Andererseits vermeiden manche Betroffene auch Arztbesuche, aus Angst vor einer Bestätigung der Selbstdiagnose (Bleichhardt & Weck, 2019, S. 11). Bei einigen Betroffenen kommt es vor, dass sie sich um ihre Mitmenschen sorgen und denken, sie sind durch ernste Erkrankungen bedroht, was mit Hinweisen und Arztempfehlungen einhergeht. Die meisten allerdings schätzen die Wahrscheinlichkeit, selbst zu erkranken, als viel höher ein als bei anderen Menschen (Bleichhardt & Weck, 2019, S. 8).

Ursachen

Als Ursache der hypochondrischen Störung wird z. B. die frühe Konfrontation mit Krankheit bei sich selbst oder anderen und auch das Wissen darüber gesehen. Dies führt zur Bildung spezifischer Annahmen über Krankheits- und Gesundheitsverhalten sowie zu Symptomen. Medien können dies begünstigen. Problematische Annahmen könnten z. B. sein: „Wenn du nicht sofort zum Arzt gehst, wenn du irgendetwas Unübliches bemerkst, dann wird es zu spät sein“ oder „Körperliche Veränderungen sind normalerweise ein Anzeichen einer schweren Krankheit“. Wenn Annahmen dieser Art vorliegen, können diese die Ursache für die immer wiederkehrende Angst sein. Ebenfalls können sie dazu führen, dass sich jemand Informationen zuwendet, die diese Annahmen unterstützen und so Informationen, die das Gegenteil behaupten, eher ignoriert. Unnormale Körperempfindungen, neue Informationen über Erkrankungen oder das Wissen über eine Erkrankung bei Bekannten kann solche Annahmen aktivieren. Diese selektive Aufmerksamkeit und Angst führen dann dazu, dass dies aufrechterhalten wird (Salkovskis & Ertle, 2018, S. 231).

Therapie

Die kognitiv-behaviorale Psychotherapie ist die erste Wahl zur Behandlung der hypochondrischen Störung (Deutsches Ärzteblatt, 2010, S. 557). Dabei stehen Motivation, Beziehungsgestaltung und Therapieziel sowie der Umgang mit körperlichen Problemen im Mittelpunkt. Bei der Zielformulierung soll nicht die Symptombeseitigung im Fokus stehen, sondern die Etablierung von Bewältigungsstrategien sowie eine verbesserte Lebensqualität. Weiterhin wird sich mit dem subjektiven Krankheitskonzept, dysfunktionalen Überzeugungen und selektiver Aufmerksamkeitsfokussierung beschäftigt. Dabei ist es wichtig, ein Krankheitsmodell zu vermitteln, um potenzielle nichtorganische Auslöser in Betracht zu ziehen. Hierzu werden Verhaltensexperimente durchgeführt, um die Rollen der Aufmerksamkeit zu verdeutlichen. Mithilfe kognitiver Techniken werden dysfunktionale Gedanken identifiziert und verändert. Um physiologische Prozesse zu verändern und aktiv zu bewältigen, werden Entspannungsübungen wie z. B. die progressive Muskelentspannung, Biofeedback, Atemtechniken oder Imaginationsübungen durchgeführt. Auf der Verhaltensebene wird z. B. erarbeitet, inwiefern das Body Checking zur Verstärkung der Körperempfindungen und der Ängste davor führen kann und versucht, das Verhalten durch Alternativen zu ersetzen oder zu reduzieren (Martin & Rief, 2020, S. 1212–1215).

Fazit

Hypochondrie bedeutet für die Betroffenen häufig eine große Einschränkung der Lebensqualität. Dass die eigenen Gefühle und Gedanken vom sozialen Umfeld oft nicht ernst genommen werden, kommt erschwerend hinzu. Es zeigt sich jedoch, dass hinter Hypochondrie deutlich mehr steckt, als das Stigma der Gesellschaft vermittelt. Wichtig ist daher, frühzeitig eine geeignete Therapie in Angriff zu nehmen. Ebenfalls sollte in der Gesellschaft mehr darüber aufgeklärt werden, um die erschwerende Last des Stigmas zu verringern.


Literaturverzeichnis

Bleichhardt, G. & Weck, F. (2019). Kognitive Verhaltenstherapie bei Hypochondrie und Krankheitsangst (4. Auflage). Berlin, Heidelberg: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-642-12119-7

Caspar, F., Pjanic, I. & Westermann, S. (2018). Klinische Psychologie (Basiswissen Psychologie). Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-531-93317-7

Deutsches Ärzteblatt. (2010). Krankheitsangst: Keine Bagatelle, 9(12), 556–558.

DIMDI. (2018). ICD-10-GM Version 2018. Zugriff am 09.02.2022. Verfügbar unter: https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2018/block-f40-f48.htm

Kasten, E. (2020). Somatoforme Störungen. In T. Schnell & K. Schnell (Hrsg.), Handbuch Klinische Psychologie (Living reference work, S. 1–17). Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-45995-9_14-1

Martin, A. & Rief, W. (2020). Somatoforme Störungen. In J. Hoyer & S. Knappe (Hrsg.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (Lehrbuch, 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, S. 1199–1219). Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1_53

Salkovskis, P. M. & Ertle, A. (2018). Krankheitsangststörung. In J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.), Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Psychologische Therapie bei Indikationen im Erwachsenenalter (Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Band 2, 4., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage, S. 227–243). Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54909-4_11

Schneider, L. (2019). Hypochondrie stoppen. Hypochonder ‐ Die Angst vor Krankheiten verstehen und sich davon befreien. Expertengruppe Verlag.

Beitragsbild

Stevepb. (2015). Hypertonie hoher Blutdruck: pixabay. Zugriff am 19.03.2022. Verfügbar unter: https://pixabay.com/de/photos/hypertonie-hoher-blutdruck-867855/

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