By Published On: 17. Juni 2020Categories: Psychologie

Das menschliche Gehirn ist ein faszinierendes Wunderwerk der Natur. Dank seiner mehreren Hundert Milliarden Nervenzellen sind wir u. a. zu großartigen Denkleistungen fähig (Birbaumer & Schmidt, 2010, S. 75, 90). Auch ist das menschliche Gehirn in der Lage, verschiedene Bewusstseinszustände zu generieren (Walter & Müller, 2012, S. 657-663). Der Frage, wie diese verschiedenen Bewusstseinszustände mit unserer Gehirnwellenfrequenz zusammenhängen und ob wir sogar in der Lage sind, willentlich Einfluss auf unseren Bewusstseinszustand zu nehmen, soll in diesem Beitrag nachgegangen werden. Dabei streift die kleine Forschungsreise, auf die ich Sie in diesem Beitrag einladen möchte, sogar das entlegene Gebiet ritueller Praktiken und offenbart dabei verblüffende Erkenntnisse.

 

Die Frequenzbereiche des menschlichen Gehirns

Beginnen wir unsere Reise bei den Aktivitäten des menschlichen Gehirns: Mit Hilfe der sogenannten Elektroenzephalographie (EEG) sind Wissenschaftler in der Lage, Verbindungen zwischen verschiedenen Gehirnaktivitäten und entsprechenden psychischen Phänomenen herzuleiten (Gerrig & Zimbardo, 2008, S. 79). Diese Gehirnaktivitäten können in Form unterschiedlicher Frequenzen zwischen 0 und ca. 100 Hz auftreten, wobei steigende Frequenzen einen zunehmenden Wachheitsgrad anzeigen. Dabei entsprechen die Alpha-Wellen (8-13 Hz) einem visuell wenig aktiven Wachzustand, während die Beta-Wellen (13-30 Hz) einem visuell angeregten Aufmerksamkeitszustand entsprechen. Theta-Wellen (4-8 Hz) und Delta-Wellen (unter 4 Hz) sind hingegen für Tiefschlafphasen oder pathologische Zustände charakteristisch. Gamma-Wellen (über 30 Hz) können schließlich durch lokale Nervenzellverbände im Rahmen von Lernvorgängen erzeugt werden (Birbaumer & Schmidt, 2010, S. 469, 768-769).

 

Neurofeedback – Können wir unsere Gehirnaktivität selbst steuern lernen?

Forschungen mittels EEG haben ergeben, dass bestimmte psychische Störungen, wie z. B. ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung), Depressionen, Angststörungen oder Schlafstörungen, mit Auffälligkeiten der gemessenen Gehirnwellenmuster einhergehen. Tatsächlich ist es möglich, diese störungsspezifischen EEG-Abweichungen durch ein sogenanntes Neurofeedback-Training zu beeinflussen (Siedek, Kuderer, Hack & Aigner, 2018, S. 112). Beim Neurofeedback-Training erhalten Patienten direkte Rückmeldung über ihre mittels EEG gemessenen Gehirnaktivitäten und lernen, wie sie diese selbst beeinflussen und regulieren können (Drüge, 2020; Gevensleben et al., 2009, S. 780). Erfolge werden dabei im Sinne einer operanten Konditionierung belohnt (Drüge, 2020). Die anhaltende Wirksamkeit von Neurofeedback-Training gilt als wissenschaftlich belegt (Siedek, et al., 2018, S. 114). Mit diesem Training können z. B. ADHS-Patienten lernen, ihre Gehirnaktivität im Bereich des aufmerksamen Wachzustands der Beta-Wellen zu halten und das bei ADHS typische Vorherrschen der Theta-Wellen-Aktivität zu reduzieren (Gevensleben et al., 2009, S. 781)

 

Können Trommelklänge unsere Gehirnwellen beeinflussen?

Wer glaubt, die Beeinflussung des Bewusstseinszustands über die Gehirnwellenaktivität sei eine moderne Errungenschaft, irrt. Ohne über die Existenz von Gehirnwellenmustern zu wissen, nutzen Menschen in schamanischen Kulturen seit Jahrtausenden Trommel oder Rasselklänge zur Modifizierung ihres Bewusstseinszustands, um Tranceerfahrungen zu induzieren. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass ein monotoner, ca. 15 Minuten anhaltender Trommelrhythmus einen direkten Einfluss auf das Auftreten von Alpha- und Theta-Wellen hat. Im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung können schamanische Klanginstrumente eingesetzt werden, um durch Erzeugung eines Trancezustands den Zugang zur Ebene der direkten Erfahrungen und Gefühle zu erleichtern (Haerlin, 1998, S. 238-240).

 

Verschiedene Praktiken der Bewusstseinsveränderung

Auch verschiedene Drogen können Veränderungen des Bewusstseinszustands hervorrufen. Diese werden nach ihrer Wirkung in Narkotika, Halluzinogene, Sedativa (Beruhigungsmittel) und Stimulanzien (Aufputschmittel) unterteilt und teilweise zu medizinischen und therapeutischen Zwecken eingesetzt, wie z. B . Sedativa zur Behandlung von Angst- und Schlafstörungen oder Amphetamine als Medikation bei ADHS. Während indigene Völker bewusstseinsverändernde Drogen zu rituellen Zwecken einsetzten, konsumieren Menschen unseres Kulturkreises Drogen zur Stressreduktion oder um dem Alltag zu entfliehen. Aufgrund des hohen Abhängigkeitspotenzials verschiedener Drogen und deren schädlicher Wirkung auf psychischer, sozialer und körperlicher Ebene ist von derartigen Praktiken in jedem Fall eindringlich abzuraten (Gerrig & Zimbardo, 2004, S. 232-234).

Weitere Praktiken, um einen veränderten Bewusstseinszustand zu erzeugen, sind Hypnose und Meditation: Bei der Hypnose handelt es sich um einen tiefen Entspannungszustand, in welchem die hypnotisierte Person sehr empfänglich für äußere Eingebungen ist. Dabei gilt der Einsatz von Hypnose zur Linderung von Schmerzen als wissenschaftlich erwiesen. Meditation ist eine Form der Bewusstseinsveränderung, welche durch die Erzeugung eines tiefen Ruhezustands zu einer gesteigerten Selbsterkenntnis führen soll. Zwar gilt die angstreduzierende Wirkung von Meditation als erwiesen, nachweisbare Wirkungen auf das Bewusstsein werden in der Forschung hingegen kontrovers diskutiert (Gerrig & Zimbardo, S. 226, 229-230).

 

Fazit

Damit geht unser kleiner Streifzug durch das faszinierende Reich der menschlichen Bewusstseinszustände und deren Beeinflussung zu Ende. Es zeigte sich, dass eine gezielte Beeinflussung der Gehirnaktivität und des damit zusammenhängenden Bewusstseinszustands bei verschiedenen psychischen Störungen und Beschwerden eine therapeutische Wirkung erzielen kann (Gerrig & Zimbardo, 2004, S. 226, 230; Haerlin,1998, S. 238-241; Siedek et al., 2018, S. 112). Speziell die signifikante Wirksamkeit von Neurofeedback-Training, welches bei vielfältigen Störungsbildern eingesetzt werden kann, gilt als wissenschaftlich belegt (Siedek et al., 2018, S. 114; Sterman, 2009, S. 220). Der therapeutische Effekt schamanischer Klanginstrumente kann als noch nicht hinreichend empirisch belegt angesehen werden, da entsprechende Studien fehlen.

Eine einfache und ungefährliche Möglichkeit, einen veränderten Bewusstseinszustand zu erleben, bietet z. B. das Praktizieren von Meditation (Gerrig & Zimbardo, 2004, S. 230). Der Leitfaden „Vielfalt Meditation: Ein Überblick über Meditations- und Achtsamkeitsübungen“ (2019) von Peter Malinowski, erschienen im Springer Verlag, bietet neben grundlegenden Informationen vielfältige praktische Meditationsanleitungen.

 

 

 

 

Literatur

Birbaumer, N. & Schmidt, R. F. (2010). Biologische Psychologie (7. Aufl.). Heidelberg: Springer.

Drüge, M. (2020). Neurofeedback. In M. A. Wirtz (Hrsg.), Dorsch – Lexikon der Psychologie. Abgerufen am 28.05.2020. Verfügbar unter https://portal.hogrefe.com/dorsch/neurofeedback-1/

Gerrig, R. J. & Zimbardo, P. G. (2004). Psychologie ( 16. Aufl.). München: Pearson Studium.

Gevensleben, H., Holl, B., Albrecht, B., Vogel, C., Schlamp, D., Kratz, O. et al. (2009). Is neurofeedback an efficacious treatment für ADHD? A randomised controlled clinical trial. The Journal of Child Psychology and Psychiatry, 50 (7), S. 780-789.

Haerlin, P. (1998). Bewußtseinsverändernde Klanginstrumente in der Psychotherapie. Psychotherapeut, 43, S. 238-242.

Malinowski, P. (2019). Vielfalt Meditation: Ein Überblick über Meditations- und Achtsamkeitsübungen. Wiesbaden: Springer.

Siedek, D., Kuderer, M., Hack, R. & Aigner, M. (2018). Quantitatives EEG und Neu-rofeedback in der Diagnostik und Behandlung der Zwangserkrankung: For-schungsübersicht und Fallstudie. Psychopraxis. Neuropraxis, 21 (3), S. 112-117.

Sterman, M. B., Egner, T. & Baltin, H. (2009). Neurofeedback. In M. Graf, C. Grill & H.-D. Wedig (Hrsg.), Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule: HWS-Schleudertrauma. Heidelberg: Steinkopff.

Walter, H. & Müller, S. (2012). Neuronale Grundlagen des Bewusstseins. In H.-O. Karnath & P. Thier, Kognitive Neurowissenschaften (3. Aufl., S. 655-664). Berlin, Heidelberg: Springer.

 

 

Titelbild: Veröffentlicht von kalhh auf Pixabay unter https://pixabay.com/de/illustrations/kopf-gehirn-radiologie-medizin-1058432/

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