By Published On: 25. Januar 2021Categories: Psychologie

Einleitung

Jüngste Studien zeigen: Die Zahlen von Cybermobbing steigen,[1] insbesondere in der Corona-Pandemie.[2] Das mag sicherlich damit zusammenhängen, dass Cybermobbing insbesondere ein Phänomen der Jüngeren ist, vor allem innerhalb der Schülerschaft, die gerade im Jahr 2020 häufig digitalen Unterricht erhielten. Das physische Mobbing wich damit notwendigerweise einem Mobbing im Cyberraum. Dass Cybermobbing gerade unter Schülern und Schülerinnen steigt, lässt es notwendig erscheinen, neben dem Blick auf die Opfer auch einen Blick auf die Tatausübenden zu richten. Wer sind die (jungen) Menschen, die Cybermobbing begehen? Wie ‚ticken‘ sie? Und letztlich: Wie kann man dagegen präventiv vorgehen? Dabei soll sich dieser Artikel auf Cybermobbing unter Jugendlichen und damit an Schulen richten. Dass das Phänomen altersunabhängig ist, soll der Vollständigkeit halber hier ergänzt sein.

Cybermobbing – eine Begriffsbestimmung

Cybermobbing als Begriff ist erst seit wenigen Jahren bekannt und wird in der englischsprachigen Forschung seit ca. 20 Jahren behandelt.[3] Der Begriff des Mobbings, der auch in der Arbeits- und Organisationspsychologie als Stressor eine tragende Rolle spielt,[4] findet dabei offline statt, Cybermobbing online. Hierbei werden aggressive Handlungen gegen andere absichtlich und wiederholt vorgenommen und, in Abgrenzung zum Mobbing, dazu PC, Smartphone oder andere neue Technologien zu Hilfe genommen.[5] Im Gegensatz zum traditionellen Mobbing gibt es beim Cybermobbing keinen Schutzraum, in den Opfer fliehen könnten. Im Gegenteil: Jeder Blick auf das Smartphone kann einen neuen Angriff bedeuten. Eine Lösung ist nur, sich von der Onlinewelt vollständig abzunabeln.[6] Dies wirkt jedoch weltfremd und auch nicht praktikabel: Warum schließlich sollten sich die Opfer von Cybermobbing dem Cyberraum und allen Vorteilen, welche dieser bietet, verschließen müssen?

Cybermobbing und die Doppelperspektive auf Opfer sowie Täter und Täterinnen

Dass sich Opfer dem Cyberraum womöglich verschließen wollen, liegt sicherlich auf der Hand, wenn auf die potenziellen Folgen von Cybermobbing geschaut wird: Fast ein Viertel der Opfer von Cybermobbing empfindet Selbstmordgedanken,[7]weitere negative Folgen sind Angststörungen und Depressionen, genauso wie psychosomatische Symptome.[8]

Wird auf die Tatausübenden geblickt, stellt sich die Frage, ob auch sie Depressionen, Angststörungen, psychosomatische Symptome oder Suizidgedanken erleben, wenn sie ihr Verhalten vollziehen. Nun kann diese Frage vorschnell verneint werden, denn klar ist: Aus psychologischer Perspektive gibt es für die Täter und Täterinnen etwas, das sie zu ihren Handlungen motiviert. Dabei stellt die Literatur fest, dass Jugendliche, die Cybermobbing ausüben, in der Regel auch einen insgesamt delinquenten Lebensstil führen.[9] Nicht zuletzt ist zu bedenken, dass diese Art delinquenten Verhaltens, welches im Jugendalter eingeübt wird, auch im Erwachsenenalter aufrecht erhalten werden kann.[10] Woraus dieses Verhalten resultiert, ist wiederum die wesentlich spannendere Frage: In der Regel eben aus dem Aufwachsen in einem gewalttätigen Elternhaus bzw. einem Elternhaus, in dem vermittelt wird, dass Gewalt im Leben sowie in sozialen Beziehungen einen Menschen weiterbringt.[11]

Weitere Erkenntnisse über die Ausübenden von Cybermobbing werden häufig aus denen abgeleitet, die für Mobbing-Ausübende gelten, nicht zuletzt deswegen, weil das Feld zu Cybermobbing noch ein recht junges ist. Personen, die Mobbing vollziehen, sind dabei häufig auch durch ein recht geringes Maß an Empathiefähigkeit geprägt, was ihre Handlungen nicht rechtfertigt, aber erklären kann.[12] Befunde zu Cybermobbing-Ausübenden im Speziellen zeigen, dass diese bei öffentlicher Ausübung von Cybermobbing die Aufmerksamkeit des ‚Publikums‘ genießen,[13] bei nicht öffentlicher Ausübung im Gegensatz dazu hingegen die Sicherheit dessen verspüren (und wohl auch genießen), keine negativen sozialen Konsequenzen fürchten zu müssen.[14] Letzteres wiederum ist besonders bemerkenswert, wenn die Ergebnisse von Brewer und Kerslake betrachtet werden: Sie stellen fest, dass Ausübende von Mobbing über ein recht hohes Selbstbewusstsein verfügen, Ausübende von Cybermobbing jedoch über ein niedriges Selbstbewusstsein.[15] Zudem zeigen aktuellere Befunde, dass, wie oben bereits vermutet, bisheriges Verhalten weiteres Verhalten anleitet und eine Vergangenheit als Täter oder Täterin von Cybermobbing auch Gegenwart und Zukunft von Täterschaft zwar nicht determiniert, aber wahrscheinlich macht.[16]

Fazit

Was zeigt das also für das Phänomen insgesamt? Sicherlich zum einen, dass Täter und Täterinnen nicht einfach bestraft werden können und das Thema damit als erledigt gilt, sondern sie im Gegenteil in ihren Biografien beleuchtet und ernst genommen werden müssen, wenn weitere Taten, auch in anderen Bereichen, verhindert werden sollen. Zugleich ist das geringe Maß an Empathiefähigkeit bei den Ausübenden von Mobbing beziehungsweise Cybermobbing sicherlich ein großes Problem, erschwert es doch die Strategie ihnen die Folgen für die Opfer zu zeigen und damit Mitgefühl zu erwarten. Stärker auf die Täter und Täterinnen zu blicken und sie aus der womöglich selbst erlebten Gewalt herauszunehmen, die sie andernorts erfahren, könnte womöglich die beste Präventionsstrategie gegen Cybermobbing sein. Zugleich gilt es frühzeitig soziales Lernen und damit emotionale Intelligenz zu fördern. 

Nicht zuletzt sei angemerkt: Das probateste Mittel gegen Cybermobbing ist die Durchführung sowohl von Interventions- als auch von Präventionsprogrammen. Wo sich die Handelnden in Schule und Politik bewusst über die Notwendigkeit von Prävention und Intervention sind und entsprechende Programme lancieren, wirken diese auch, und zwar unabhängig von ihrer Dauer.[17]


[1] Vgl. Kliem/Krieg/Baier (2020), S. 67

[2] Vgl. Beitzinger/Leest/Schneider (2020), S. 8

[3] Vgl. Fawzi (2015), S. 47

[4] Vgl. Kauffeld (2019), S. 313

[5] Vgl. Marx (2017), S. 24

[6] Vgl. Kliem et al. (2020), S. 68

[7] Vgl. Beitzinger et al. (2020), S. 82

[8] Vgl. Hahlweg/Schulz (2020), S. 114

[9] Vgl. Katzer (2014), S. 87

[10] Vgl. Boers (2009), 146-147

[11] Vgl. Katzer (2014), S. 87

[12] Vgl. Festl (2015), S. 84

[13] Vgl. Festl (2015), S. 268

[14] Vgl. Festl (2015), S. 269

[15] Vgl. Brewer/Kerslake (2015), S. 258

[16] Vgl. Festl (2015), S. 271

[17] Vgl. Tanrikulu (2018), S. 85


Beitzinger, F., Leest, U. & Schneider, C. (2020). Cyberlife III: Spannungsfeld zwischen Faszination und Gefahr. Cybermobbing bei Schülerinnen und Schülern. Dritte empirische Bestandsaufnahme bei Eltern, Lehrkräften und Schüler/-innen in Deutschland. Folgestudie von 2013 und 2017. Bündnis gegen Cybermobbing e. V. 

Boers, K. (2009). Delinquenz im Lebensverlauf. In H.-L. Kröber, D. Dölling, N. Leygraf & H. Sass (Hg.), Handbuch der Forensischen Psychiatrie: Band 4: Kriminologie und Forensische Psychiatrie (S. 134–174). Steinkopff.

Brewer, G. & Kerslake, J. (2015). Cyberbullying, self-esteem, empathy and loneliness. Computers in Human Behavior48, 255–260.

Fawzi, N. (2015). Cyber-Mobbing: Ursachen und Auswirkungen von Mobbing im Internet (2., durchgesehene Auflage). Nomos. 

Festl, R. (2015). Täter im Internet: Eine Analyse individueller und struktureller Erklärungsfaktoren von Cybermobbing im Schulkontext. Springer VS. 

Hahlweg, K. & Schulz, W. (2020). Prädiktion von Mobbing und Viktimisierung: Ergebnisse eines 10 Jahres Follow-up mit Mütter-, Väter- und Jugendlichen-Daten. Kindheit und Entwicklung29(2), 113–122. https://doi.org/10.1026/0942-5403/a000308

Katzer, C. (2014). Cybermobbing – Wenn das Internet zur W@ffe wird. Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-37672-6#

Kauffeld, S. (Hg.). (2019). Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie für Bachelor. Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56013-6

Kliem, S., Krieg, Y. & Baier, D. (2020). Allgemeine und spezifische Entwicklung von Cybermobbing unter Jugendlichen. Kindheit und Entwicklung29(2), 67–74.

Marx, K. (2017). Diskursphänomen Cybermobbing: Ein internetlinguistischer Zugang zu [digitaler] Gewalt. De Gruyter. 

Tanrikulu, I. (2018). Cyberbullying prevention and intervention programs in schools: A systematic review. School Psychology International39(1), 74-91. https://doi.org/10.1177/0143034317745721

Bildquelle Titelbild:

Bild von Chetraruc auf Pixabay: https://pixabay.com/de/illustrations/online-troll-cyber-mobbing-hater-5268149/

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