By Published On: 15. März 2021Categories: Psychologie

Selbstverletzendes Verhalten und vor allem das sich Schneiden gelten als die typischen Symptome von Borderline – „Borderliner sind eben die, die sich Ritzen und umbringen wollen“, heißt es oft. Aber was genau steckt hinter Borderline? Und ist diese psychische Störung ausschließlich durch selbstverletzendes Verhalten gekennzeichnet und steckt hinter dem selbstverletzenden Verhalten immer die Absicht zu sterben?

Was ist die Borderline Persönlichkeitsstörung?

Die Borderline Persönlichkeitsstörung (BPS), oder auch emotional instabile Persönlichkeitsstörung, gehört zu den spezifischen Persönlichkeitsstörungen, die im ICD-10, der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (10. Revision), unter der Codierung F60 gelistet sind. Die BPS zeichnet sich durch eine deutliche Tendenz aus, impulsiv und vor allem ohne die Berücksichtigung von Konsequenzen zu handeln. Dazu kommen häufige und heftige Stimmungsschwankungen mit einer Neigung zu emotionalen Ausbrüchen und einer Tendenz zu streitsüchtigem Verhalten (Dilling & Freyberger, 2019, S. 240).

Die BPS kann in zwei Erscheinungsformen eingeteilt werden:

  • Der Impulsive Typus: Dieser Typ ist von der Tendenz gekennzeichnet, emotional instabil zu sein und Impulse nur mangelhaft kontrollieren zu können. Daraus resultieren Streitigkeiten oder Konflikte, vor allem, wenn die impulsiven Handlungen durch eine andere Person unterbunden werden. Zudem zeigen die Betroffenen große Probleme, Handlungen zu verfolgen, die nicht direkt belohnt werden (Dilling & Freyberger, 2019, S. 241).
  • Der Borderline-Typus: Dieser Typ ist durch eine Störung des Selbstbildes gekennzeichnet. Das bedeutet, dass innere Ziele oder Präferenzen wechselhaft sind und wenig Beständigkeit aufweisen. Dazu kommt ein Gefühl von chronischer Leere, das von unbeständigen zwischenmenschlichen Beziehungen und der Neigung zu selbstverletzendem Verhalten begleitet wird (Dilling & Freyberger, 2019, S. 241-242).   

Neben den spezifischen Symptomen für die BPS müssen die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung erfüllt werden. Eine Persönlichkeitsstörung zeichnet sich durch bestimmte diagnostische Kriterien aus, die erfüllt sein müssen. Dazu gehören eine deutliche Abweichung in der Kognition (wie beispielsweise der Wahrnehmung oder der Interpretation), der Affektivität (der Intensität oder Variationsbreite von Emotionen), der Impulskontrolle und der Art des Umgangs mit anderen Personen. Hinzu kommen ein subjektiver Leidensdruck, eine zeitliche Stabilität des Musters und dem Ausschluss einer organischen Erkrankung (Dilling & Freyberger, 2019, S. 234-235; Petermann, Maercker, Lutz, & Stangier, 2011, S. 78). Vor allem das selbstverletzende Verhalten (SVV) steht bei vielen Betroffenen der BPS im sichtbaren Vordergrund und gilt daher als Aushängeschild der Störung. Entgegen der alltäglichen Meinung schneiden sich die Betroffenen jedoch nicht mit der primären Absicht sich umzubringen, sondern um sich selbst wieder spüren zu können oder die enorme innere Spannung, die bei vielen Betroffenen entsteht, regulieren zu können (Herpertz, 2021; Petermann et al., 2011, S. 79). Diese Spannungszustände entstehen durch eine gestörte Affektregulation. Die Betroffenen sind also nicht in der Lage, ihre Gefühle angemessen zu kontrollieren, wodurch Spannungszustände oder Gefühle hoher Intensität entstehen. Diese Spannungszustände werden von den Betroffenen meist als unerträglich empfunden. Um die Spannungszustände zu regulieren, üben die Betroffenen selbstverletzendes Verhalten aus, das jedoch nicht nur im sich schneiden bestehen muss, sondern auch durch riskantes Autofahren, ungeschützte sexuelle Kontakte oder dem Balancieren auf einer Brücke ausgedrückt werden kann. Intensive Spannungszustände können auch zu einer sogenannten Dissoziation führen, bei der der eigene Körper nur noch verzerrt oder gar nicht wahrgenommen wird (Herpertz, 2021).

An einer BPS leiden rund 3% der Bevölkerung, wobei Männer und Frauen scheinbar gleichermaßen betroffen sind. 60% der Betroffenen verüben mindestens einen Suizidversuch (Herpertz, 2021).

Wie entsteht eine Borderline Persönlichkeitsstörung?

Eine Borderline Persönlichkeitsstörung kann auf verschiedene Weiten entstehen, im Vordergrund stehen jedoch Anlage-Umwelt-Einflüsse. Gerade Zwillingsstudien lieferten jedoch Evidenz für ein stark ausgeprägte genetische Komponente (35 – 38 %) (Maier & Hawellek, 2011, S. 70). Trifft jemand, der genetisch ein erhöhtes Risiko aufweist, an BPS zu erkranken, in seinem Umfeld auf bestimmte Lebenserfahrungen, entwickelt ungünstige Grundeinstellungen oder legt schädliche Verhaltensmuster an den Tag, kann dies zur Entstehung und Aufrechterhaltung einer BPS führen (Dörfler, Roos, & Gerrig, 2018, S. 592; Herpertz, 2021). Besonders häufig erlebten Betroffene einer BPS sexuelle Gewalt (65%), körperliche Gewalt (60%) oder schwere Vernachlässigung (40%). Werden diese Erfahrungen in früher Kindheit gemacht, führt diese zu Veränderungen im Gehirn – speziell in der Amygdala (unserem Zentrum für die Verarbeitung von Stress, Angst und Gefahr). Bei Betroffenen ist dieser Gehirnbereich sehr klein und sehr leicht erregbar. Zudem zeigen die Betroffenen auch Anomalien im Hippocampus, der im Zusammenspiel mit der Amygdala für die emotionale Bewertung von Reizen zuständig ist (Herpertz, 2021). Es kann davon ausgegangen werden, dass eine Kombination aus einem genetischen Risiko (Anlage) und traumatischen Erfahrungen (Umwelt) zu einer Entstehung der Störung führt (Dörfler et al., 2018, S. 592).

Wie kann die Borderline Persönlichkeitsstörung behandelt werden?

Die Borderline Persönlichkeitsstörung wird mithilfe der Psychotherapie behandelt. Unterstützend können Medikamente zum Einsatz kommen. In der Therapie werden die Aspekte und Ausprägungen der Erkrankung ihrer Wichtigkeit nach geordnet. Das ist von Nöten, da die BPS mehr als einen Störungsaspekt umfasst. So werden Suizidgedanken und / oder selbstverletzendes Verhalten zuerst behandelt (Herpertz, 2021).

Während der Behandlung können verschiedene Methoden, wie Gruppen- oder Einzeltherapien kombiniert werden. Wie lange eine Therapie andauert, ist vom Schweregrad der Störung abhängig – je nach Schweregrad kann die Behandlung ein bis drei Jahre dauern. Neben den allgemeinen Therapieformen, wie der Gesprächstherapie, der Verhaltenstherapie oder der Psychoanalyse, existieren bestimmte Therapieformen, die spezifisch auf verschiedene Aspekte der Persönlichkeitsstörung eingehen. Das sind beispielsweise die Schematherapie (ST), die mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) oder die Transference Focussed Therapy (TFT). Zusätzlich hat sich ebenfalls die medikamentöse Behandlung als wirksam erwiesen. Hierbei werden Medikamente stabilisierend oder unterstützend zur Therapie verschrieben. Dazu gehören beispielsweise Stimmungsaufheller, Antipsychotika oder Selektive-Serotonin-Aufnahmehemmer, die bei Despressionen oder Angststörungen verschieben werden (Herpertz, 2021).

Die dialektisch behaviorale Therapie (DBT) nach Marsha Linehan wurde in den 1960er Jahren für parasuizidale Frauen mit der Diagnose BPS entwickelt. Diese setzt genau an dem selbstverletzenden Verhalten an, das viele BPS-Betroffene zeigen: Sie führen aktiv und intendiert eine physische Schädigung durch (z.B. sich Schneiden), hegen jedoch dabei nicht die Absicht zu sterben (parasuizidales Verhalten) (Fleischhaker, Sixt, & Schulz, 2011, S. 4). Bei der DBT werden verschiedene therapeutischen Methodiken aus anderen Therapieformen integriert, wie beispielsweise aus der kognitiven Therapie, der Hypnotherapie oder die Meditation. Derzeit gilt die DBT als eine der, spezifisch für dieses Störungsbild, am besten wissenschaftlich abgesicherten Therapieverfahren (Bohus, 2011, S. 619). In der Therapie selbst lernen die Betroffenen beispielsweise Fertigkeiten zur Toleranz von Stress, zur Selbstwertsteigerung, der Kontrolle von Gefühlen oder der Wahrnehmung ihres Körpers (Herpertz, 2021).

Fazit

Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung handelt es sich um eine äußerst komplexe Persönlichkeitsstörung, die weit mehr beinhaltet als das allseits bekannte „sich Schneiden“. Die Persönlichkeitsstörung ist durch eine große Intensität und Instabilität der Gefühle charakterisiert, die die Betroffenen zum Teil die Verbindung zu ihrem eigenen Körper verschwimmen lässt. Neben der emotionalen Instabilität haben die Betroffenen Probleme mit der Körperwahrnehmung oder dem Selbstbild. Daraus resultieren Schulabbrüche oder häufige Jobwechsel. Gerade im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen haben Betroffene Probleme Nähe zuzulassen. Sie schwanken stetig zwischen Nähe und Distanz, Liebe und Wut. Gerade in Phasen großer Instabilität ist das Denken der Betroffenen von einem Schwarz-Weiß-Muster geprägt, das zusätzlich zu Problemen in Beziehungen oder auf der Arbeit führt. Schlussendlich bleibt das „sich Schneiden“ eine Erscheinungsmöglichkeit des selbstverletzenden Verhaltens und bietet die Möglichkeit, die enorme innerliche Spannung abzubauen, die die Betroffenen fühlen. In der Therapie wird das, neben weiteren störungsspezifischen Aspekten, behandelt und die Betroffenen lernen bestimmte Skills, mit denen sie ihre Emotionen regulieren können (z.B. das Kauen von Chili-Bonbons).

Literatur

Titelbild: tsukiko-kiyomidzu, pixabay.com (https://pixabay.com/de/illustrations/mann-menschen-m%C3%A4dchen-frau-frauen-2196323/)

Bohus, M. (2011): Dialektisch-Behaviorale Therapie für Borderline-Störungen. In: Birger Dulz, Sabine C. Herpertz, Otto F. Kernberg und Ulrich Sachsse (Hg.): Handbuch der Borderline-Störungen. 2., vollständig überarb. und erw. Aufl. Stuttgart: Schattauer GmbH Verlag für Medizin und Naturwissenschaften (Trauma, Borderline), S. 619–639.

Dilling, Horst; Freyberger, Harald J. (2019): Taschenführer zur ICD–10–Klassifikation psychischer Störungen. Mit Glossar und diagnostischen Kriterien sowie Referenztabellen ICD-10 vs. ICD-9 vs. DSM-IV-TR : nach dem englischsprachigen Pocket Guide von J. E. Cooper. 9., aktualisierte Auflage unter Berücksichtigung der Änderungen gemäß ICD–10 GM (German Modivication).

Dörfler, Tobias; Roos, Jeanette; Gerrig, Richard J. (Hg.) (2018): Psychologie. Unter Mitarbeit von Andreas Klatt. 21., aktualisierte und erweiterte Auflage. Hallbergmoos/Germany: Pearson (ps psychologie).

Dulz, Birger; Herpertz, Sabine C.; Kernberg, Otto F.; Sachsse, Ulrich (Hg.) (2011): Handbuch der Borderline-Störungen. 2., vollständig überarb. und erw. Aufl. Stuttgart: Schattauer GmbH Verlag für Medizin und Naturwissenschaften (Trauma, Borderline). Online verfügbar unter http://www.content-select.com/index.php?id=bib_view&ean=9783608263732.

Fleischhaker, Christian; Sixt, Barbara; Schulz, Eberhard (2011): DBT-A Dialektisch-behaviorale Therapie für Jugendliche. Ein Therapiemanual mit Arbeitsbuch auf CD. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Online verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1007/978-3-642-13008-3 .

Herpertz, S. (2021): Was ist eine Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS)? Online verfügbar unter https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/stoerungen-erkrankungen/borderline-stoerung/was-ist-eine-borderline-persoenlichkeitsstoerung-bps/, zuletzt geprüft am 11.03.2021.

Maier, W.; Hawellek, B. (2011): Genetik. In: Birger Dulz, Sabine C. Herpertz, Otto F. Kernberg und Ulrich Sachsse (Hg.): Handbuch der Borderline-Störungen. 2., vollständig überarb. und erw. Aufl. Stuttgart: Schattauer GmbH Verlag für Medizin und Naturwissenschaften (Trauma, Borderline), S. 69–74.

Petermann, Franz; Maercker, Andreas; Lutz, Wolfgang; Stangier, Ulrich (2011): Klinische Psychologie – Grundlagen. 1. Auflage. Göttingen: Hogrefe Verlag (Bachelorstudium Psychologie). Online verfügbar unter http://elibrary.hogrefe.de/9783840921605.

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