By Published On: 14. August 2025Categories: Psychologie

Wenn Träume Gestalt annehmen – und wanken

Als Kinder träumen wir oft in leuchtenden Farben. Manche Wünsche sind flüchtig – andere verweilen, werden zu festen Bildern in unserem Herzen. Einer meiner größten Träume war es, eines Tages einen eigenen Hund zu haben. Ich war überzeugt: Wenn dieser Wunsch sich erfüllt, dann bin ich glücklich, dann bin ich angekommen. Mit 24 schien der Moment endlich da. Ich schenkte mir selbst, was mir so lange gefehlt hatte – in dem Glauben, jetzt sei die richtige Zeit.

Doch was als Erfüllung begann, wurde zur Herausforderung. Mein Hund war nicht der Begleiter, den ich mir so oft ausgemalt hatte. Er war unsicher, schwierig, überforderte mich mit seinem Verhalten – und ich fand keine Antwort auf seine Bedürfnisse. Statt dem erhofften Glück kamen Zweifel. Vielleicht war es der richtige Traum zur falschen Zeit. Vielleicht waren wir beide nicht bereit füreinander.

Und so stand ich vor einer Frage, die sich viele stellen, wenn Wunsch auf Wirklichkeit trifft: Was, wenn ein lang ersehnter Traum uns nicht erfüllt – sondern an uns rüttelt? Darf ein Traum sich verändern? Und dürfen wir ihn loslassen, ohne zu scheitern?

Zwischen Selbstbild und Realität – Warum Träume sich verändern dürfen

Wünsche und Träume begleiten uns von klein auf. Einige sind flüchtig, andere tragen wir über Jahre hinweg mit uns – manchmal sogar ein Leben lang. Manche dieser Vorstellungen sind eng mit unserem Selbstbild verbunden: „Ich will Ärztin werden“, „Ich werde Musiker“, oder – wie bei mir – „Ich werde irgendwann stolz einen eigenen Hund haben.“

Die psychologische Entwicklung ist ein lebenslanger Prozess, in dem das Individuum sich ständig weiterentwickelt. Wünsche, Ziele und Vorstellungen verändern sich – sowohl aus innerem Antrieb als auch unter dem Einfluss äußerer Umstände. In jeder Lebensspanne begegnen uns sogenannte Entwicklungsaufgaben, die richtungsgebend für unsere individuelle Reifung sind (Boeger & Lüdmann, 2022, S. 7).

Einen Wunsch zu haben, ist ganz normal – manche sind groß, manche klein. Einige begleiten uns nur für Sekunden, andere über Jahre oder ein ganzes Leben. An einem dieser Ziele festzuhalten, bedeutet oft viel Zeit, Planung oder auch finanzielle Investition. Kraft und Mühe in einen Wunsch zu stecken, der für uns einen hohen Stellenwert hat, ist ein natürlicher Prozess (Fischer, Pfeiffer & Dickhäuser, 2021, S. 108).

Mit solchen Zielen identifizieren wir uns stark. Wir glauben: Das macht mich aus. Bei mir war es: „Ich bin wirklich stolz darauf, einen eigenen Hund zu haben.“

Gerade deshalb schmerzen Rückschläge umso mehr. Wenn sich ein Traum nicht erfüllt oder anders entwickelt als erwartet, fällt es uns schwer, das als etwas anderes als Scheitern zu betrachten. Denn wir streben danach, unser Ziel möglichst gut zu erreichen – und Misserfolge zu vermeiden (Fischer, Pfeiffer & Dickhäuser, 2021, S. 108).

Doch die Frage, die ich mir stelle, ist: Ist es wirklich ein Misserfolg, wenn die Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität zu groß wird?

Zwischen Wunschbild und Wirklichkeit – Wenn der Verstand gegen das Herz kämpft

Oft versuchen wir, schwierigen Situationen keine allzu große Bedeutung beizumessen. Doch wenn unser inneres Wunschbild nicht mit der gelebten Realität übereinstimmt, entsteht ein unangenehmer Spannungszustand – in der Psychologie spricht man von kognitiver Dissonanz. Um diesen inneren Widerspruch zu verringern, neigen wir dazu, Warnzeichen herunterzuspielen oder umzudeuten (Wirtz, 2023).

Auch ich sagte mir lange: „So schlimm ist es doch gar nicht. Sie ist noch jung, das wird sich legen.“ Oder: „Wenn ich mein Leben anpasse, wird es bestimmt besser.“ Solche Sätze helfen, unsere emotionale Stabilität zu wahren – sie verschaffen uns kurzfristig Erleichterung. Doch diese Selbstberuhigung hat ihren Preis: Wir riskieren, uns von der Wahrheit zu entfernen (Wirtz, 2023).

Denn unser Verstand greift unbewusst auf Schutzmechanismen zurück. Wir beginnen, belastende Aspekte durch selektive Wahrnehmung auszublenden – und verlieren so den klaren Blick auf die Gesamtsituation. Nicht, weil wir uns selbst belügen wollen, sondern weil Loslassen oft mehr schmerzt als Festhalten (Wirtz, 2023).

Die Kunst des Loslassens – Entscheidungen treffen, wenn Erwartungen zerbrechen

Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard schrieb:

„Es ist im Ganzen nicht zu glauben, wie schlau und erfi nderisch die Menschen sind, um Entscheidungen aus dem Wege zu gehen.” (Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 2016, S. 74).

Oft spielt das Leben anders, als wir es erwarten. Dinge geschehen – viele davon können wir nicht beeinflussen. Doch manche Entscheidungen liegen bei uns. Ich stand irgendwann selbst vor einer solchen Entscheidung: Sollte ich mich weiter ganz und gar auf diesen Traum einlassen? Sollte ich sagen: „Wir schaffen das – egal, wie hart es wird, egal, was ich dafür aufgeben muss?“ Oder sollte ich loslassen und für meinen Hund ein neues, besseres Zuhause suchen – eines, das für uns beide langfristig mehr Leichtigkeit und Lebensqualität ermöglicht?

Allein zu erkennen, dass ich diese Entscheidung überhaupt treffen kann, hat ein Jahr gedauert. Für mich war klar: Es gibt nur diesen einen Weg. Wir zwei. Und irgendwie werden wir das schon schaffen.

Doch die Entscheidungsforschung zeigt: Wir sehen oft nur das, was direkt vor uns liegt – wir überblicken nicht alle Möglichkeiten. Daniel Kahneman beschreibt dieses Phänomen als WYSIATI-Prinzip („What You See Is All There Is“): Wir treffen Entscheidungen auf Basis der Informationen, die wir gerade vor Augen haben – nicht unbedingt auf Basis des größeren Bildes (Kahneman, 2012, S. 515).

Rückblickend war die Entscheidung nicht nur deshalb so schwer – sie war schwer, weil sie ein Loslassen bedeutete. Und das fiel mir viel schwerer als der Gedanke an Veränderung selbst.

Wenn wir versuchen, Antworten auf komplexe Fragen zu finden – sei es zu kleinen Alltagsdingen oder zu Weichenstellungen für unser Leben –, greifen wir oft zu sogenannten Ersatzfragen. Kahneman beschreibt das so: Statt die eigentliche, schwer fassbare Frage zu beantworten, wählen wir eine, auf die wir schneller und sicherer eine Antwort finden können (Kahneman, 2012, S. 515).

Ich habe mir also nicht mehr die große, schmerzhafte Frage gestellt: „Will ich mein Leben mit ihr teilen?“ Denn darauf hätte ich aus tiefstem Herzen ja gesagt. Stattdessen fragte ich mich:

Bin ich bereit, auf Dauer kein Fenster zu öffnen, weil sie bei jedem Geräusch bellt?

Kann ich damit leben, dass ich zum Einkaufen immer eine Betreuung brauche, weil ich sie nicht allein lassen kann? Bin ich bereit, mein Studium hintanzustellen, weil mir die Kraft fehlt?

Und auf diese konkreteren Fragen fand ich deutlich klarere Antworten. Sie machten mir den Weg sichtbar – einen Weg, den ich lange nicht sehen wollte.

Reframing: Perspektivwechsel hin zum Wachsen durch Veränderung

Das Loslassen eines Traums bedeutet nicht das Ende – es kann der Anfang von etwas Neuem sein. Entscheidend ist, offen für Veränderungen zu bleiben und sich selbst die Erlaubnis zu geben, neue Wege zu gehen.

Ein veränderter Blickwinkel – ein sogenanntes Reframing – hilft, Herausforderungen in einem neuen Licht zu sehen. Um mit einer Niederlage besser umzugehen, gibt es unterschiedliche Strategien. Eine davon ist das Prinzip der Common Humanity: Es beschreibt, wie entlastend es sein kann, sich bewusst zu machen, dass man nicht allein ist. Ich bin nicht die Einzige, die überfordert war. Ich bin nicht die Erste, die sich – trotz tiefer Zuneigung – dazu entschied, ihren Hund abzugeben. Diese Erkenntnis kann das Selbstwertgefühl stärken. (Fischer, Pfeifer, & Dickhäuser, 2021, S. 109)

Auch eine ehrliche Einschätzung der Situation kann helfen: Manche Aufgaben sind nicht einfach. Manche sind sogar weitaus größer, als sie zunächst erscheinen – und mit den eigenen Ressourcen vielleicht nicht realistisch zu bewältigen. Doch auch das ist kein Scheitern. (Fischer, Pfeifer, & Dickhäuser, 2021, S. 109)

Die eigenen Zuschreibungen zu verändern – also wie wir eine Situation innerlich bewerten – ist nicht leicht. Aber genau dieser Schritt kann den Weg zu einem echten Neuanfang ebnen.

Frieden schließen mit dem, was nicht sein sollte

Das Leben verläuft selten geradlinig – und auch unsere Träume dürfen sich im Laufe der Zeit verändern. Ein Traum loszulassen ist kein Zeichen von Scheitern, sondern ein Ausdruck von Selbstfürsorge, Reife und innerem Wachstum. Indem wir uns erlauben, neue Wege zu beschreiten, schaffen wir Raum für Entwicklung – hin zu einem Leben, das nicht perfekt sein muss, aber ehrlich und tragfähig ist.


Literaturverzeichnis

Boeger, A., & Lüdmann, M. (2022). Psychologie für die Gesundheitswissenschaften. Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-63622-0  

Fischer, N., Pfeiffer, T., & Dickhäuser, O. (2021). Stark im Scheitern – Motivation nach Misserfolgen: Motivationsförderung im Arbeitskontext. Springer: Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33281-5  

Kahneman, D. (2012) Schnelles Denken, langsames Denken. Unter Mitarbeit von Torsten Schmidt, (5. Auf.). Penguin: München

Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Hrsg.). (2016). Zitate für Manager: Über 2.600 Sinnsprüche, die Ihre Botschaft auf den Punkt bringen. Springer Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11378-0

Wirtz, M. A. (Hrsg.). (2023). Kognitive Dissonanz. In Dorsch – Lexikon der Psychologie. Hogrefe. https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/kognitive-dissonanz 

Titelbildquelle

8 verthing. (2019, 6. Oktober). A woman holding a lit up lantern in the dark [Foto]. Unsplash. Abgerufen von https://unsplash.com/photos/a-woman-holding-a-lit-up-lantern-in-the-dark-QlanlYD-D-Y (Unsplash Content License)

Nutzungsbedingungen: https://pixabay.com/service/license-summary/, abgerufen am: 11.07.2025.

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