Kunsttherapie: Sprache jenseits der Worte
Kunsttherapie eröffnet einen besonderen Raum, in dem das Unsagbare sichtbar wird – jenseits von Worten und rationaler Sprache. Durch kreatives Gestalten können innere Konflikte, Gefühle und unbewusste Prozesse Ausdruck finden. Im Zentrum steht dabei nicht nur das Werk selbst, sondern auch der Dialog zwischen Klient und Therapeut (Schubert, 2018, S. 5). Besonders das Konzept der „Response Art“ zeigt, wie der kreative Gegenentwurf des Therapeuten als Spiegel und Resonanz im therapeutischen Prozess wirken kann (Stanoeva, 2025, S. 41). Dieser Beitrag beleuchtet, wie Kunsttherapie und Response Art gemeinsam eine Brücke zwischen Bild und Unbewusstem schlagen und Heilung auf einer tieferen, nonverbalen Ebene ermöglichen.
Kunsttherapie: Gestalten, was (noch) nicht gesagt werden kann
Die Kunsttherapie eröffnet Räume jenseits der Sprache. Sie bietet eine Möglichkeit, innere Prozesse sichtbar und erlebbar zu machen – besonders dort, wo Worte fehlen oder nicht ausreichen. Dabei verfolgt sie unterschiedliche therapeutische Ziele, die alle das kreative Gestalten als zentrales Element in den Mittelpunkt stellen (Trüg, & Kersten, 2013, S. 5).
Selbstaktualisierung durch kreativen Ausdruck:
Ein zentrales Ziel der Kunsttherapie ist die Selbstaktualisierung. Während des kreativen Prozesses – ob beim Malen, Zeichnen oder plastischen Gestalten – bringen wir nicht nur etwas hervor, wir gestalten zugleich uns selbst. Dieser Prozess wirkt strukturierend: Der innere und äußere Raum kann wahrgenommen und gestaltet werden. Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen und Empfindungen treten in den Vordergrund und verbinden sich im sogenannten Erlebniskontakt zu einem ganzheitlichen Ausdruck des Selbst (Trüg, & Kersten, 2013, S. 5).
Symbolisierungsfähigkeit als Brücke zwischen Innen und Außen
In der Kunsttherapie steht nicht die Sprache im Vordergrund, sondern das symbolische Gestalten. Bilder, Farben, Formen oder Materialien werden zu Trägern der eigenen Realität. Sie ermöglichen es, das Unaussprechliche darzustellen – innere Zustände, Konflikte oder Wünsche, die schwer in Worte zu fassen sind. So entstehen symbolische Brücken zwischen bewussten und unbewussten Prozessen, zwischen Innenwelt und Außenwahrnehmung (Trüg, & Kersten, 2013, S. 5).
Identitätsförderung durch Individualität im Ausdruck
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Identitätsbildung. In der Kunsttherapie wird das individuelle Selbst gestärkt – durch das kreative Tun ebenso wie durch die therapeutische Begleitung. Wie wir zeichnen, gestalten oder schreiben, ist eizigartig. Keine Handschrift gleicht der anderen. Genau diese individuelle Ausdrucksform wird in der Therapie gefördert, anerkannt und reflektiert – ein wertvoller Beitrag zur Entwicklung und Festigung der eigenen Identität (Trüg, & Kersten, 2013, S. 6).
Selbstorganisation und Autonomie erleben
Kunsttherapie unterstützt auch die Entwicklung von Selbstorganisation und Autonomie. Der kreative Prozess bietet einen Raum, in dem Entscheidungen selbstbestimmt getroffen werden können: Was möchte ich darstellen? Wie genau? Möchte ich etwas betonen oder bewusst auslassen? Im Gestalten zeigt sich das eigene Wollen – ein Ausdruck innerer Freiheit und Selbstbestimmung. Dieses Erleben von Autonomie im künstlerischen Tun kann auch auf andere Lebensbereiche übertragbar werden (Trüg, & Kersten, 2013, S. 6).
In der Kunsttherapie geht es also nicht nur um Kunst – sondern darum, das auszudrücken, was (noch) nicht gesagt werden kann. Sie ist ein wertvoller Weg, sich selbst besser zu verstehen, neue Perspektiven zu entwickeln und innere Ressourcen zu stärken (Trüg, & Kersten, 2013, S. 5).
Wirkung im psychodynamischen Kontext: Das Bild als Sprache des Unbewussten
Die Wirksamkeit der Kunsttherapie lässt sich auch aus neuropsychologischer Perspektive erklären. So erfordert der schöpferische Prozess eine besondere Form der Aufmerksamkeit und inneren Sammlung, die mit achtsamkeitsbasierten Verfahren vergleichbar ist. Studien zeigen, dass solche fokussierten Zustände Einfluss auf Hirnareale wie den präfrontalen Kortex und das anteriore Cingulum nehmen können – Bereiche, die für Emotionsregulation und Selbststeuerung bedeutsam sind (Martius, & Marten, 2014, S. 335).
Zudem gilt Kreativität als funktionell verknüpft mit serotonergen und dopaminergen Neurotransmittersystemen – jene Systeme, die auch bei verschiedenen psychischen Störungen wie Depression oder Schizophrenie eine zentrale Rolle spielen. Damit lässt sich annehmen, dass das künstlerische Gestalten nicht nur Ausdruck innerer Prozesse ist, sondern auch neurobiologisch regulierend wirken kann. Besonders im psychodynamischen Setting bietet das Bild so einen Raum, in dem unbewusste Inhalte symbolisch sichtbar und gleichzeitig auf neuronaler Ebene verarbeitet werden können (Martius, & Marten, 2014, S. 335).
Response Art: Der kreative Gegenentwurf
Im kunsttherapeutischen Setting nehmen Bilder eine besondere Rolle ein – sie sind nicht nur Ausdruck des Inneren, sondern fungieren auch als Kommunikationsmittel des Selbst, insbesondere dann, wenn verbale Kommunikation erschwert oder nur eingeschränkt möglich ist – sei es in der Gruppe oder gegenüber dem Therapeuten (Stanoeva, 2025, S. 41).
In diesem Zusammenhang gewinnt der Begriff der Response Art zunehmend an Bedeutung. Entscheidend ist dabei die authentische Haltung des Therapeuten sowie dessen emotionale Resonanz. Gerade durch die Response Art wird ein kreativer Zugang geschaffen, der sich therapeutisch gezielt nutzen lässt (Stanoeva, 2025, S. 41).
Die Reaktionen des Therapeuten – sowohl verbal als auch nonverbal – haben eine unmittelbare Wirkung im therapeutischen Prozess. Die Präsenz des Therapeuten entfaltet sich dabei über das kreative Gestalten: Die vom Therapeuten geschaffenen Bilder sind eine Antwort auf das, was im Patientenbild sichtbar wird. So entsteht ein dialogischer Austausch – von Bild zu Bild –, der eine eigene, bildnerische Sprache spricht (Stanoeva, 2025, S. 41).
Diese Form der nonverbalen Kommunikation erweist sich als bedeutsam, insbesondere im Hinblick auf Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene innerhalb der Kunsttherapie (Stanoeva, 2025, S. 41).
Gisela Schmeer entwickelt dieses Konzept in ihrer Resonanzbildmethode weiter: In Gruppenprozessen nimmt sie emotionale Schwingungen wahr und übersetzt diese spontan in Zeichnungen. Ihre sogenannten Resonanzbilder entstehen als schnelle Skizzen mit schwarzem Stift auf Papier. Sie spiegeln intuitive Reaktionen auf das Gruppengeschehen wieder – reduziert auf das Wesentliche und fokussiert auf zentrale visuelle Botschaften (Stanoeva, 2025, S. 41).
Fazit: Kunst als Begegnung zwischen Welten
Kunsttherapie und Response Art zeigen eindrucksvoll, dass es Räume der Heilung gibt, die jenseits der Sprache liegen. In der Response Art wird der therapeutische Prozess zu einem echten Dialog – nicht auf sprachlicher, sondern auf ästhetischer Ebene. Sie schafft Verbindung, Resonanz und symbolische Verständigung zwischen Ich und Du, Innen und Außen, Bild und Gefühl (Stanoeva, 2025, S. 44).
Gerade in Zeiten, in denen Sprache oft überfordert ist, bietet die Kunsttherapie einen Zugang zum Unbewussten, zur eigenen Wahrheit – und mit der Response Art ein Mittel, um gesehen, gespiegelt und verstanden zu werden. Nicht durch Analyse, sondern durch Anteilnahme. Nicht durch Worte, sondern durch Bilder.
Literaturverzeichnis
Martius, P., & Marten, D. (2014). Kunsttherapie: Grundlagen und Anwendungen. Psychotherapeut, 59(4), 329–343. https://doi.org/10.1007/s00278-014-1055-3
Schubert, C. (2018). Psychoneuroimmunologie der Kunst. In F. von Spreti, P. Martius & F. Steger (Hrsg.), KunstTherapie: Wirkung – Handwerk – Praxis (S. 5). Schattauer GmbH.
Stanoeva, A. (2025). Response Art: Die therapeutische Präsenz als Potential für Veränderung im kunsttherapeutischen Prozess. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-47571-0
Trüg, E., & Kersten, M. (2013). Praxis der Kunsttherapie: Arbeitsmaterialien und Techniken (3., überarb. und erw. Aufl.). Schattauer. https://ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com/img/books/extract/3608267549_lp.pdf
Titelbildquelle
Jungfer, M. (2021, 21. Januar). Frau in weißem Langarmhemd und blauer Jeans sitzt auf braunem Holztisch [Foto]. Unsplash. https://unsplash.com/de/fotos/frau-in-weissem-langarmhemd-und-blauer-jeans-sitzt-auf-braunem-holztisch-kBuAJnv31aQ
Nutzungsbedingungen: https://unsplash.com/de/lizenz, abgerufen am: 11.07.2025.