By Published On: 8. Mai 2016Categories: Gesundheit, Psychologie

Als mein Chef damals mit dem Buch „Darm mit Charme“ von Giulia Endres zu mir kam und die Lektüre ganz stolz zum Mitarbeitergeschenk 2015 ernannte, war ich erstmal sprachlos und kurz peinlich berührt. Nach den ersten paar Seiten war für mich aber schnell klar – ein unglaublich spannendes Thema und ein wunderbares Geschenk; schließlich betrifft es uns alle.

Der Darm ist ein Organ, über dessen Funktion und Arbeitsweise nicht unbedingt gerne in der Öffentlichkeit gesprochen wird – wir tauschen uns meist nur hinter vorgehaltener Hand mit den engsten Vertrauten oder beim Arzt unter vier Augen über unsere Darmbewegungen aus. Im Alltag werden jedoch Redewendungen wie „aus dem Bauch heraus“, „ein schlechtes Bauchgefühl haben“, „die Hosen voll“ oder „Schiss haben“ ganz selbstverständlich und ohne falsche Scham verwendet. Diese geflügelten Worte lassen bei näherer Betrachtung auf eine Verbindung zwischen dem Verdauungsorgan und unserem Wohlbefinden schließen. Aber was hat der Darm nun wirklich mit unserer Psyche zu tun? Eine ganze Menge, wie der nachfolgende Beitrag zeigt.

 

bacteria-811861_1280

Abb 1. Bakterien unter dem Elektronenmikroskop

Das Gehirn und der Darm

Hippokrates stellte bereits vor 2.500 Jahren fest, dass der Darm „Vater allen Trübsal“ sei – empirische Belege gab es damals allerdings noch nicht. Die Forschung ist aber glücklicherweise vorangeschritten: 2001 wurde das menschliche Genom entschlüsselt, 2007 wurde mit der Erforschung der Darmflora (des Darmmikrobioms) begonnen und das bis 2018 laufende EU-Projekt „MyNewGut“[1] untersucht, welche Rolle Ernährung und Umweltfaktoren bei der Zusammensetzung dieses Darmmikrobioms spielen.[2]

Der Darm besitzt unglaublich viele und vor allem andersartige Nerven im Vergleich zum Rest des Körpers. Es gibt nur ein Organ, das ebenfalls eine solch große Vielfalt an Nerven besitzt – das Gehirn. Daher wird das Netzwerk der Nerven des Darms auch „Darmgehirn“ genannt. Um unsere Nahrung zu transportieren, zu verwerten und auszuscheiden wäre ein solch komplexes Konstrukt nicht notwendig – es muss mehr dahinterstecken.[3]

Die Kommunikation zwischen Gehirn und Darm verläuft über das Rückenmark. Durch Experimente fand man heraus, welche Signale aus bestimmten Körperregionen in welchen Hirnbereichen ankommen. So war es möglich, eine Karte des Gehirns zu erstellen und es zeigte sich, dass Signale aus dem Darm in der Insula, dem limbischen System, dem präfrontalen Cortex, der Amygdala, dem Hippocampus oder auch dem anterioren cingulären Cortex ankommen. Zusammengefasst kann man diesen Bereichen das Ich-Gefühl, die Gefühlsverarbeitung, die Moral, das Angstempfinden, das Gedächtnis und die Motivation zuschreiben. Der Darm kann diese Bereiche zwar nicht direkt steuern, aber es besteht die Möglichkeit der Beeinflussung.[4]

Das Experiment der „schwimmenden Maus“ von John Cryan 2011 verdeutlicht den Zusammenhang von Gehirn und Darm. Dazu wurden Mäuse in ein kleines, mit Wasser gefülltes Wasserbecken gesetzt, so dass sie paddeln mussten, um wieder an Land zu kommen. Mäuse mit depressiven Eigenschaften schwammen nicht sehr lange – sie verharrten immer wieder regungslos. Hemmende Signale schienen in ihren Gehirnen sehr viel besser durchgestellt zu werden als motivierende Impulse. Zudem reagierten sie viel stärker auf Stress. Die Forscher fütterten die Hälfte der Mäuse mit einem Bakterium, das den Darm pflegt. Die Mäuse mit dem gepflegten Darm schwammen tatsächlich nicht nur ausdauernder und optimistischer, es wurden auch weniger Stresshormone im Blut nachgewiesen. Die Wissenschaftler gingen aber noch einen Schritt weiter: Durchtrennten sie den Vagus-Nerv – der wichtigste und schnellste Weg vom Darm zum Gehirn – gab es keinen Unterschied mehr zwischen den Mäusegruppen.[5] Durch den Vagus-Nerv, der die Übertragung der Informationen aus den Organen an das Gehirn weiterleitet, wird dem Gehirn durch chemische Botenstoffe wie Darmhormone, Immunmoleküle und Stoffwechselprodukte von Bakterien signalisiert, dass z. B. verdorbene Nahrung aufgenommen wurde – was dort umgehend zu einem Gefühl der Übelkeit führt, ohne dass dieser Mechanismus willentlich beeinflusst werden kann. Signale aus dem Magen-Darm-Trakt können so Emotionen, Stimmungen, Schmerzempfinden, Übelkeit oder Stressanfälligkeit steuern.[6]

 

Der Darm und die Psyche

Die Zusammensetzung der Darmbakterien beeinflusst demnach sämtliche Facetten unserer Gesundheit – nicht nur den Magen-Darm-Trakt, sondern auch unser Herz-Kreislauf-System. Mäuse, die in einer sterilen Umgebung aufgewachsen sind und dadurch keine Darmbakterien hatten, zeigten, dass sich die Gehirne nicht normal entwickelten. Besonders die Teile, die aktiv sind, wenn man Angst hat. Zudem hatten sie einen dauerhaft erhöhten Stresslevel. Menschen, die traumatische Erlebnissen in der Kindheit ausgesetzt waren, erkranken mit höherer Wahrscheinlichkeit in ihrem weiteren Leben an einer psychischen Erkrankung. Die Zusammensetzung der Darmbakterien bei diesen Menschen ist anders, als bei Menschen ohne diese Erfahrungen.[7]

Für Menschen mit einem Reizdarm kann diese „Darm-Hirn-Achse“ sehr belastend sein. Experimente zeigten, dass bei Darm-Beschwerden eine deutliche Aktivität in der Hirnregion festzustellen war, in der sonst unangenehme Gefühle verarbeitet werden. Die Patienten fühlten sich psychisch schlecht, ohne dass ein konkretes Ereignis vorherrschte. Reizdarm-Erkrankte leiden überdurchschnittlich häufig auch unter Angstzuständen oder Depressionen.[8] Während Gastroenterologen bisher davon ausgingen, dass sich psychosomatische Störungen wie beim beschriebenen Reizdarm-Syndrom auf den Verdauungstrakt auswirken, ziehen Neurogastroenterologen den Umkehrschluss: Die Ursache für Erkrankungen und Störungen wie Depressionen, Ängste, Autismus, Alzheimer oder multiple Sklerose könnte im Darm liegen.[9]

 

brain-954821_1280

Abb 2. Gehirn und Lebensmittel

Der Darm und die Ernährung

Du bist, was du isst – gesunde Ernährung, gesunde Psyche. In der Darmflora, die direkten Einfluss auf unser Gehirn hat, existieren etwa 1.000 verschiedene Bakterienarten.[10] Andrew McCulloch von der Mental Health Foundation sieht einen klaren Zusammenhang zwischen der Ernährungsweise eines Menschen und seiner psychischen Gesundheit.[11] Forscher haben ebenfalls nachgewiesen, dass Fast Food das Risiko für die Entwicklung einer Depression erhöhen kann.[12] Aber welche Lebensmittel haben denn nun einen positiven Effekt auf das Darmmikrobium? Das Darmgehirn liebt Obst und Gemüse und zwar frisch und biologisch wertvoll und so unverarbeitet wie nur möglich.[13] Ebenso wie Milchprodukte oder fermentierte Nahrungsmittel wie Sauerkraut, Sojasauce, Sauerteigbrot und selbst eingelegte Gurken. Zu einer ausgewogenen Ernährung sollten ebenso Ballaststoffe aus echten Gemüsefasern oder Fruchtfleisch in Form von Roggen, Hafer, Spargel, Chicorée, Artischocke etc. gehören.[14] Gute Bakterien tun gut.

Basierend auf diesen Erkenntnissen könnten spezielle Medikamente entwickelt werden, die die Entstehung neuropsychiatrischer Erkrankungen verhindern. Prä- und Probiotika – also bakterienfördernde Substanzen, auch „Psychobiotika“ genannt – sind dabei die Hoffnung der Zukunft.[15]

Zum Schluss möchte ich ein großes Dankeschön an meinen Chef aussprechen, ohne den ich nie auf die Idee gekommen wäre, mich mit diesem Thema ausführlicher zu beschäftigen. Ich kann nur sagen – es lohnt sich!

Weiterführende Links zum Thema:
Zentrum der Gesundheit: „Der Darm steuert Ihre Emotionen“
URL: http://www.zentrum-der-gesundheit.de/darm-steuert-emotionen-ia.html (08.04.2016)

3sat Mediathek: „Neues aus dem Reich der Mitte: Der Darm“

URL: http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=41447 (08.04.2016)


Literatur:

Enders, G.: Darm mit Charme – Alles über ein unterschätztes Organ. 32. Auflage. Berlin 2014

Vollmer, J. B.: Der Darm-IQ – Wie das Bauchhirn unser körperliches und seelisches Wohlbefinden steuer. 2. Auflage. München 2014

Simhofer, D.: Darmgeflüster. In: Psychologie Heute. Dezember 2015. Seite 58-62

 

Internetquellen:

(o.V.): MyNewGut

URL: http://www.mynewgut.eu/ (04.04.2016)

Sanchéz-Villegas, A./Martínes-González, M.: Diet, a new target to prevent depression?

URL: http://bmcmedicine.biomedcentral.com/articles/10.1186/1741-7015-11-3 (04.04.2016)

Mittelstaedt, K.: Hirnforscher: „Wir sind Marionetten unserer Darmbakterien“. In: derstandard.at. 2015.

URL: http://derstandard.at/2000023936548/Hirnforscher-Wir-sind-Marionetten-unserer-Darmbakterien (08.04.2016)

 

Bildquellen:

Abb. 1: Bakterien unter dem Elektronenmikroskop

URL: https://pixabay.com/de/bakterien-elektronenmikroskop-811861/ (04.04.2016)

Abb. 2: Gehirn und Lebensmittel

URL: https://pixabay.com/de/gehirn-geist-besessenheit-954821/ (04.04.2016)

Titelbild: Menschliches Verdauungssystem

URL: https://pixabay.com/de/menschliche-verdauungssystem-163714/ (05.04.2016)

Kurzverweise

[1] o.V.: http://www.mynewgut.eu/ (04.04.2016)

[2] Simhofer, D.: 2015, S. 58.

[3] Endres, G.: 2014, S. 132f.

[4] Endres, G.: 2014, S. 133f.

[5] Endres, G.: 2014, S. 136.

[6] Simhofer, D.: 2015, S. 60.

[7] Mittelstaedt, K.: 2015, http://www.derstandard.at

[8] Endres, G.: 2014, S. 140.

[9] Simhofer, D.: 2015, S. 60.

[10] Simhofer, D.: 2015, S. 60.

[11] Vollmer, J. B.: 2014, S. 107.

[12] Sanchez-Villegas, A./Martínez-González, M.: 2103, http://www.biomedcentral.com

[13] Vollmer, J. B.: 2014, S. 107.

[14] Endres, G.: 2014, S. 252 – 264.

[15] Simhofer, D.: 2015, S. 62.

Teile diesen Artikel