By Published On: 11. August 2020Categories: Gesundheit, Pädagogik, Psychologie

Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der sogenannten Epigenetik, insbesondere mit Kriegstraumata, die in Nachkriegs-Generationen immer wieder aufzufinden sind. Hierfür wird ein Interview von Prof. Dr. Alon Chen erwähnt, welcher Direktor und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München ist.  Außerdem wird die Geschichte des Autors Sebastian Heinzel erzählt, welcher in seinem Buch „Der Krieg in mir“ darüber berichtet inwieweit die Kriegstraumata seines Großvaters in ihm weiterleben.

Das Forschungsgebiet der Epigenetik ist noch relativ jung. Jedoch zeigt sich hier eine spannende Vereinigung verschiedener Wissenschaftsgebiete wie der Geisteswissenschaften, der Chemie bis hin zur Informatik. Insbesondere in den Bereichen der Alzheimer und Krebsforschung ist es höchst interessant zu verstehen inwieweit sich das Erbgut eines Menschen verändern kann.[1]

Was ist Epigenetik?

Zunächst muss der Begriff „Epigenetik“ definiert und näher erklärt werden. Der Begriff Epigenetik bedeutet so viel wie erbliche Genmodifikation. Das heißt, man bezeichnet hiermit genetisch bedingte Faktoren, die aufgrund einer in den Chromosomen stattgefundenen Veränderung vererbt werden.[2] Bereits Lamarck und Darwin vermuteten, dass es gewisse Vorgänge gäbe, die dazu führen, dass sich das Erbgut verändert. Dies unterstützt wiederum die Evolutionstheorie von Darwin.

Es ist bereits bekannt, dass sich gewisse Risikofaktoren wie Nikotin- und Alkoholkonsum langfristig und negativ auf das noch ungeborene Baby auswirken können. Ebenso kann Stress das Epigenom verändern und für einen verringerten Serotoninspiegel bei Neugeborenen sorgen. Durch einen verringerten Serotoninspiegel können Angstgefühle und Aggressivität schlechter verarbeitet und reduziert werden.[3]

Doch können Traumata an die nächste Generation vererbt werden? Wie sieht es aus mit Generationen, die traumatische Erlebnisse, wie den zweiten Weltkrieg erlebt haben? Hinterlassen die furchtbaren Eindrücke der Großeltern Spuren bei den Nachkriegsgenerationen?

Genau mit dieser Frage beschäftigt sich Prof. Dr. Alon Chen des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Er ist der Direktor des Instituts. Im Zuge einer traumatischen Erfahrung, wie beispielsweise einer schlimmen Gewalttat oder eben eines Kriegseinsatzes, kann es zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung kommen. Diese stellen für den Menschen eine unerträgliche und seelisch kaum verkraftbare Situation dar, weshalb es zu einer Störung in der Verarbeitung des Traumas kommen kann. Typische Anzeichen sind sogenannte „Flashbacks“, in denen der betroffenen Person immer wieder Bilder des Erlebnisses in den Kopf kommen und sie beispielsweise durch Alpträume oder Panikattacken unter ständiger Belastung stehen. Häufig kommt es auch zu Verdrängung der Erinnerung, sodass sich die Betroffenen teilweise nicht mehr an das Erlebte erinnern können.[4]

Chen hat mit seinem Forscherteam an Mäusen molekulare Mechanismen untersucht, die zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen können und haben hierbei Veränderungen an der DNA festgestellt. Die Studienergebnisse lassen sich auf den Menschen übertragen. Im Zuge der Studie hat sich das Team mit der dritten Generation der Holocaust-Überlebenden näher auseinandergesetzt und festgestellt, dass diese Spuren solcher Kriegstraumata aufwiesen. Diese äußerten sich beispielsweise in einer höheren Wahrscheinlichkeit und Anfälligkeit für Angststörungen und stressbedingte Krankheiten.[5]

Die Thematik der Epigenetik ist jedoch noch nicht weit erforscht, da es sehr schwer ist zu unterscheiden ob sich eine Mensch auf eine bestimmte Art und Weise verhält, weil er es durch sein Umfeld so erlernt hat oder ob er seine Eigenschaften wirklich geerbt hat.[6]

In dem Buch „Der Krieg in mir“ berichtet der Autor Sebastian Heinzel darüber, wie er über Jahre von Alpträumen verschiedenster Kriegsszenarien geplagt wird. Jedoch ist Heinzel 1979 geboren, das heißt er ist lange nach Kriegsende geboren und gehört schon der zweiten Generation an, die nicht im Krieg gekämpft hat. Heinzels Großvater war als Soldat in Weißrussland stationiert. In seinem Buch beschreibt er, dass der Auslöser für seine Nachforschungen und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit seiner Verwandten damit begann, dass er jahrelang Alpträume hatte. Er träumte er sei Gefangener in einem Kriegslager, in manchen Träumen sitzt er auf einem Panzer und schießt auf die gegnerischen Truppen.[7]

Heinzel beschreibt genau das, was Chen und sein Team derzeit erforschen. Aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung, die sein Großvater durch seinen Kriegseinsatz erlitten hat, hat er vermutlich gewisse Anteile an die nächste und übernächste Generation weitervererbt. Es ist beachtlich, wie lebendig Heinzel die Bilder seiner Alpträume in seinem Buch beschreibt, wenn man bedenkt, dass er diese Szenen nie selbst erlebt oder mitangesehen hat.

Fazit

Die Erforschung der Epigenetik hat durchaus großes Potenzial wichtige Erkenntnisse für die Prävention von gewissen Erkrankungen wie Alzheimer hervorzubringen. Aber auch im Bereich der Psychologie wie im Beispiel Sebastian Heinzels, stellt die Epigenetik ein spannendes Forschungsgebiet dar. Da laut Chen Traumata weitervererbt werden können, betrifft die Thematik der Kriegssoldaten, Kriegsgefangenen und Kriegsüberlebenden durchaus auch unsere Generation, weshalb es in manchen Fällen hilfreich sein kann sich ebenfalls mit der Geschichte der eigenen Großeltern auseinanderzusetzen.

 

[1] Vgl. Heil, Seitz, Robienski & König (2016), S. 6-8

[2] Vgl. Arnemann (2019), S. 795

[3] Vgl. Lehnert, Kirchner, Kirmes & Dahm (2018), S. 15-16

[4] Vgl. Petermann, Maercker, Lutz & Stangier (2018), S. 78

[5] Vgl. Lebow, Schroeder, Tsoory et al. (2019), S. 1-3; S.15; Zhao (2019)

[6] Vgl. Zhao (2019)

[7] Vgl. Heinzel (2020), S. 1-2

 

Literaturverzeichnis

Arnemann J. (2019) Epigenetik. In: Gressner A.M., Arndt T. (eds) Lexikon der Medizinischen Laboratoriumsdiagnostik. Springer Reference Medizin. Springer, Berlin, Heidelberg

Heil, R., Seitz, S., Robienski, J. & König, H. (2016). Epigenetik. Ethische, rechtliche und soziale Aspekte. Springer. Wiesbaden

Heinzel, S. (2020). Der Krieg in mir – Welche Spuren haben die Erfahrungen der Kriegsgeneration in uns hinterlassen?. Kamphausen Verlag. Bielefeld

Lebow, M.A., Schroeder, M., Tsoory, M. et alGlucocorticoid-induced leucine zipper “quantifies” stressors and increases male susceptibility to PTSDTransl Psychiatry 9, 178 (2019). https://doi.org/10.1038/s41398-019-0509-3

Lehnert, H., Kirchner, H., Kirmes, I. & Dahm, R. (2018). Epigenetik – Grundlagen und klinische Bedeutung. Springer. Berlin

Petermann, F., Maercker, A., Lutz, W. & Stangier, U. (2018). Klinische Psychologie – Grundlagen. 2., überarbeitete Auflage. Hogrefe. Göttingen

Zhao, L. (2019). Epigenetik: Wenn wir Traumata vererben. https://www.dw.com/de/epigenetik-wenn-wir-traumata-vererben/a-50547821 (10.08.2020)

 

Bildquelle

Pixabay: https://pixabay.com/photos/soldiers-military-usa-weapons-war-1002/

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