By Published On: 3. Juni 2016Categories: Wiki
Abbildung 1: ICH

Abbildung 1: ICH

Umgangssprachlich werden egoistische, arrogante und selbstsüchtige Menschen als narzisstisch bezeichnet. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist dagegen eine tiefgreifende Störung der Persönlichkeit, die auf ein geringes Selbstwertgefühl und mangelnde Empathie zurückzuführen ist.

Der nachfolgende Artikel liefert einen Überblick über das Phänomen Narzissmus und seine extreme Ausprägung – die narzisstische Persönlichkeitsstörung.

 

Wortherkunft und Definition

Der antike Mythos des Narkissos verlieh dem Begriff ‚Narzissmus’ seinen Namen. Demnach war er ein Mensch, den die Götter dazu verdammten, andere nicht lieben zu können – nur sich selbst – was ihn letztlich umbrachte.[1] 1914 beschrieb Freud Menschen, die sich stark selbst überschätzten, als Narzissten. Bei Asendorpf ist zu lesen, dass es sich bei Narzissmus sowohl um eine Dimension der normalen Persönlichkeit handelt, die sich durch Selbstüberschätzung, mangelndes Einfühlungsvermögen, Hypersensibilität gegenüber Kritik und Stimmungsschwankungen äußert, also auch eine Persönlichkeitsstörung darstellt.[2] Der Duden erläutert den Begriff Narzissmus mit „übersteigerte Selbstliebe, Ichbezogenheit“[3]. Eine einheitliche Definition lässt sich nicht ableiten, da es nicht den einen Narzissmus gibt, sondern verschiedenste Ausprägungen vorherrschen – vom gesunden bis hin zum krankhaften Narzissmus.

 

Vom normalen Narzissmus zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung

Jeder Mensch strebt nach einem positiven Selbstwertgefühl. Das hat zur Folge, dass selbstbezogene Informationen selbstwertdienlich verzerrt werden, d. h. dass beispielsweise die eigene Leistung im Vergleich zu anderen überschätzt wird. Eine mäßige Selbstüberschätzung gilt als vollkommen normal[4] und kann sich auch in positiven Eigenschaften ausdrücken wie z. B. Kreativität, Ehrgeiz oder dem Sinn für das Besondere. Narzissten werden für gewöhnlich Eigenschaften wie beispielsweise Egoismus, Überheblichkeit, Gefühle der eigenen Großartigkeit, mangelnde Empathie, überhöhte Anspruchshaltung oder Kränkbarkeit unterstellt.[5] Aber nicht jeder Mensch, der diese Charakterzüge aufweist, ist psychisch krank.

Laut Schätzungen, die je nach Quelle stark variieren, sind 0,3 bis 2,5 Prozent der Bevölkerung von der narzisstischen Persönlichkeitsstörung betroffen – die meisten davon sind männlichen Geschlechts.[6] Der pathologische (krankhafte) Narzissmus zeichnet sich dadurch aus, dass die Selbstüberschätzung nur vordergründig vorhanden ist. Die Betroffenen überspielen ihre Selbstunsicherheit und das hoch verletzliche Selbst durch ein übertriebenes, autoritäres und herausragendes Selbst.[7] Die Bewunderung und Beachtung durch andere spielt hier eine bedeutende Rolle. Erfahren die pathologischen Narzissten dies nicht, können sie in schwere Krisen geraten. Die Folgen können von Depressivität bis hin zu Suizidalität reichen.[8]

 

Ursachen, Diagnose und Therapie

Die Ursachen der Entstehung des normalen Narzissmus sowie der narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind nicht eindeutig bekannt. Sie werden jedoch in der Kindheit vermutet. Einer Studie des Wissenschaftlers Eddie Brummelmann und Kollegen nach werde Narzissmus bei Kindern gefördert, wenn sie von den Eltern überbewertet werden und ihnen eine Außergewöhnlichkeit im Vergleich zu anderen zugesprochen wird. Ein gesundes Selbstbewusstsein, abseits des Narzissmus, erlangen Kinder jedoch durch elterliche Zuneigung und Wertschätzung.[9]

Folgende Faktoren könnten bei der krankhaften Form des Narzissmus eine Rolle spielen:

  • Disbalance in der Eltern-Kind-Beziehung (durch übermäßige Verwöhnung oder übermäßigen Kritizismus)
  • In der Verbindung zwischen Gehirn, Verhalten und Denken (Genetik oder Psychobiologie)[10]

Zur Erläuterung der genetischen Aspekte liegt bislang nur eine einzige veröffentlichte Zwillingsstudie vor. Diese weist eine hohe Erblichkeit für narzisstische Persönlichkeitsstörungen auf. Allerdings bedarf es der Wiederholung der Studie.[11]

Diagnostiziert werden Persönlichkeitsstörungen durch einen Psychologen oder Psychiater aufgrund strukturierter Interviews nach dem ICD (International Classification of Diseases)[12], der internationalen Klassifikation von Krankheiten, die von der Weltgesundheitsorganisation herausgegeben wird. Dort ist die narzisstische Persönlichkeitsstörung nicht eigens definiert, sondern wird unter ‚sonstige spezifizierte Persönlichkeitsstörungen’ (Code F60.8) eingeordnet.[13] Für das Vorliegen einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung müssen neben den allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung mindestens fünf Merkmale aus der nachfolgenden Tabelle vorherrschen.[14]

Merkmale der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung

Merkmale der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (ICD-10, F60.81)
• Größengefühl in Bezug auf die eigene Bedeutung (z. B. übertreiben die Betroffenen ihre Leistungen und Talente, erwarten ohne entsprechende Leistungen als bedeutend angesehen zu werden)
• Beschäftigung mit Phantasien über unbegrenzten Erfolg, Macht, Scharfsinn, Schönheit oder ideale Liebe
• Überzeugung, ‚besonders’ und einmalig zu sein und nur von anderen besonderen Menschen oder solchen mit hohem Status (oder von entsprechenden Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen zusammen sein zu können
• Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung
• Anspruchshaltung; unbegründete Erwartung besonders günstiger Behandlung oder automatischer Erfüllung der Erwartungen
• Ausnutzung von zwischenmenschlichen Beziehungen; Vorteilsnahme gegenüber anderen, um eigene Ziele zu erreichen
• Mangel an Empathie; Ablehnung, Gefühle und Bedürfnisse anderer anzuerkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren
• häufiger Neid auf andere oder Überzeugung, andere seien neidisch auf die Betroffenen
• arrogante, hochmütige Verhaltensweisen und Attitüden
Tabelle 1: Merkmale der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung
(Quelle: Hartmann, H.-P.: 2006, S. 19.)

 

Die häufigste Behandlungsform einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist die Psychotherapie. Da die Betroffenen ihr Selbstbild ungern in Frage stellen, gilt die Störung als relativ schwer behandelbar. Zudem sind die Betroffenen häufig der Ansicht, dass ihnen eine besondere Behandlung zusteht. Sie neigen dazu, den Therapeuten auf der einen Seite zu bewundern und zu idealisieren, auf der anderen Seite reagieren sie ihm gegenüber aber mit Neidgefühlen oder Abwertung. Daher ist es wichtig, die zentralen persönlichen Bedürfnisse der Patienten zu erkennen und ihnen klare Regeln und Grenzen aufzuzeigen.[16]

In der psychoanalytischen Therapie wurden verschiedene Ansätze zur Behandlung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung entwickelt. Therapien, in denen mit Deutungen gearbeitet wurde, die den Patienten damit konfrontieren, dass seine Selbstüberschätzung ein Abwehrmechanismus gegen Wut, Aggression und Neidgefühle sei, führten häufig zu Therapieabbrüchen. Der Psychoanalytiker Heinz Kohut und seine Nachfolger sehen die Therapien als geeigneter an, die unterstützend, einfühlsam und fürsorglich vorgehen. Durch die Akzeptanz und Wertschätzung lernt der Betroffene ein positiveres Selbstbild zu entwickeln und nicht permanent auf die Bewunderung von außen angewiesen zu sein.[17]

Bei der kognitiven Verhaltenstherapie ist die wertschätzende Beziehung zwischen Therapeut und Betroffenem ebenfalls ein wesentliches Element. Es wird an ungünstigen Denkmustern und charakteristischen Schwierigkeiten in Beziehungen gearbeitet. Das Schwarz-Weiß-Denken der Patienten wird sukzessive durch eine stärker abgestufte Sichtweise ersetzt.[18]

Der Einsatz von Psychopharmaka hat sich bei der Behandlung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung als nicht hilfreich erwiesen. Diese werden vor allem dann eingesetzt, um eine gleichzeitig vorherrschende psychische Störung wie z. B. eine Depression zu behandeln. [19]

 

Fazit und Test

Im Allgemeinen ist es etwas Gutes, ein stark ausgeprägtes Selbstwertgefühl zu haben. Dies lässt uns optimistisch sein im Hinblick auf die Zukunft und lässt uns konsequenter an unseren Zielen arbeiten. Beim Narzissmus handelt es sich dagegen um eine außerordentlich stark ausgeprägte Selbstbezogenheit in Kombination mit mangelnder Empathie gegenüber anderen. In extremen Fällen kann dies sogar zu einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung führen.

Ein gutes Gefühl für sich selbst zu haben, andere zu achten und sich um andere zu kümmern stellt hingegen eine gesunde Kombination von Persönlichkeitseigenschaften dar.

Wer selbst gerne einen Test machen möchte, wie narzisstisch er veranlagt ist, findet im Internet zahlreiche Fragebögen dazu. Der am häufigsten verwendete Test ist das ‚Narcissistic Personality Inventory (NPI)’ von Raskin & Terry.[20]

 

Literaturnachweis

Aronson, E./Wilson, T./Akert, R.: Sozialpsychologie. 8., aktualisierte Auflage. Hallbergmoos 2014

Asendorpf, J. B.: Persönlichkeitspsychologie – für Bachelor. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Heidelberg 2011

Hartmann, H.P..: Narzisstische Persönlichkeitsstörungen – ein Überblick. In: Kernberg, O. F./Hartmann, H.P. (Hrsg.): Narzissmus – Grundlagen-Störungsbilder-Therapie. Schattauer GmbH. Stuttgart 2006, S. 3-36

Raskin, R. & Terry, H.: A principle-components analysis of the Narcissistic Personality Inventory and further evidence of its construct validity. Journal of Personality and Social Psychology, 54. Seite 890-902

Sprenger, B./Joraschky, P.: Mehr Schein als Sein? Die vielen Spielarten des Narzissmus. Heidelberg 2015

Torgersen, S.: Genetische Aspekte Narzisstischer Persönlichkeitsstörungen. In: Kernberg, O. F./Hartmann, H.P. (Hrsg.): Narzissmus – Grundlagen-Störungsbilder-Therapie. Schattauer GmbH. Stuttgart 2006, S. 432-435

Internetquellen

Amrhein, Dr. C.: Persönlichkeitsstörung – Ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale als störende Belastung. Narzissmus. 2014, S. 11-16

URL: https://www.therapie.de/psyche/info/index/diagnose/persoenlichkeitsstoerungen/narzissmus/ (29.04.2016)

Bibliographisches Institut GmbH (Duden), Suchbegriff: Narzissmus. 2016.

URL: http://www.duden.de/node/680464/revisions/1262594/view (27.04.2016)

Stadler, S.: Zwischen Selbstliebe und Unsicherheit. Narzissmus und narzisstische Persönlichkeitsstörung: Symptome und Test. 2016.

URL: http://www.lifeline.de/leben-und-familie/narzissmus-narzisstische-persoenlichkeitsstoerung-id153650.html#ixzz45c77ke7G (27.04.2016)

Bildquellen

Abbildung 1: ICH

URL/Link: https://pixabay.com/de/ich-buchstaben-schwarz-wei%C3%9F-655892/

Lizenz: CC0

 

Fußnoten

[1] Vgl. Sprenger, B./Joraschky, P.: 2015, S. 4.

[2] Vgl. Asendorpf, J. B.: 2011, S. 112.

[3] Vgl. Bibliographisches Institut GmbH (27.04.2016), http://www.duden.de

[4] Vgl. Asendorpf, J. B.: 2011, S. 112.

[5] Vgl. Stadler, S.: In Lifeline – Das Gesundheitsportal (27.04.2016), http://www.lifeline.de

[6] Vgl. Stadler, S.: In Lifeline – Das Gesundheitsportal (27.04.2016), http://www.lifeline.de

[7] Vgl. Sprenger, B./Joraschky, P.: 2015, S. 83f.

[8] Vgl. Stadler, S.: In Lifeline – Das Gesundheitsportal (27.04.2016), http://www.lifeline.de

[9] Vgl. Stadler, S.: In Lifeline – Das Gesundheitsportal (27.04.2016), http://www.lifeline.de

[10] Vgl. Stadler, S.: In Lifeline – Das Gesundheitsportal (27.04.2016), http://www.lifeline.de

[11] Vgl. Torgersen, S., in: Kernberg, O. F./Hartmann, H.-P.: 2006, S. 435.

[12] Vgl. Asendorpf, J. B.: 2011, S. 59.

[13] Vgl. Stadler, S.: In: Lifeline – Das Gesundheitsportal (27.04.2016), http://www.lifeline.de

[14] Vgl. Hartmann, H-P.: 2006, S. 19

[15] Hartmann, H-P.: 2006, S. 19

[16] Vgl. Amrhein, Dr. C.: In: therapie.de (29.04.2016), http://www.therapie.de

[17] Vgl. Amrhein, Dr. C.: In: therapie.de (29.04.2016), http://www.therapie.de

[18] Vgl. Amrhein, Dr. C.: In: therapie.de (29.04.2016), http://www.therapie.de

[19] Vgl. Amrhein, Dr. C.: In: therapie.de (29.04.2016), http://www.therapie.de

[20] Vgl. Aronson, E./Wilson, T./Akert, R.: 2014, S. 171 zitiert nach Raskin, R. & Terry, H.: 1988, S. 890ff.

Teile diesen Artikel