By Published On: 4. November 2017Categories: Psychologie, Wirtschaft

Vor einiger Zeit schlenderte ich durch eine Buchhandlung, wobei mir ein Buch ins Auge sprang. Es ging um Psychopathen in der Arbeitswelt. Seitdem beschäftigte mich die Frage, ob sich wirklich so viele Psychopathen tagtäglich unter uns bewegen. Dass der ein oder andere Chef bei seinen Angestellten nicht allzu beliebt ist, dürfte allgemein bekannt sein. Auch über Skandale an der Börse oder über scheinbar skrupellose Manager wird immer mal wieder in den Medien berichtet, aber sind dies wirklich Psychopathen und wenn wie gelangen Sie in diese Position?

 

Was ist ein Psychopath?

Heutzutage wird meist das Konzept nach Hare genutzt. Demnach ist ein Psychopath eine manipulative Person, die häufig in kriminelle Aktivitäten verwickelt ist.[1] Sie agieren gewissenlos und selbstsüchtig. Empathie und Einfühlungsvermögen kennen sie nicht. Ihr Verhalten ist geprägt durch ständiges Lügen und Betrügen, wobei sie sich keiner Schuld bewusst sind. Fehler schreiben sie entweder anderen zu oder machen äußere Umstände dafür verantwortlich.  Ihr Verhalten ist oftmals unbeherrscht und impulsiv. Oberflächlich betrachtet wirken sie auf andere jedoch meist erstmal sympathisch und charmant.[2] In der Literatur wird die Psychopathie manchmal mit anderen psychischen Erkrankungen wie der Antisozialen Persönlichkeitsstörung oder der Soziopathie gleichgesetzt. Auch wenn sich diese Konzepte ähneln muss zwischen ihnen differenziert werden.[3] Während Psychopathie eine Persönlichkeitsstörung ist, bezeichnet Soziopathie lediglich ein bestimmtes Verhaltensmuster. Im Gegensatz zu Psychopathen sind Soziopathen durchaus in der Lage Schuld zu empfinden oder Empathie zu zeigen. Menschen mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung legen wie Psychopathen ein kriminelles und antisoziales Verhalten an den Tag. Jedoch sind nicht alle Personen mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung gleichzeitig Psychopathen. Weder Grandiosität noch Empathieunfähigkeit sind zur Diagnose der antisozialen Persönlichkeitsstörung notwendig. .[4]

Die 20 Charaktermerkmale, die für Psychopathen kennzeichnend sind, lassen sich vier Bereichen zuordnen, mit Ausnahme der Promiskuität und der kurzen eheähnlichen Beziehungen.

interpersonell affektiv
wortgewandt und oberflächlich charmant Mangel an Schuldgefühlen
pathologisches Lügen Empathieunfähigkeit und Gefühlskälte
übersteigertes Selbstwertgefühl oberflächliche Gefühle
hinterlistig und manipulativ Mangelnde Bereitschaft Verantwortung zu
übernehmen
Lebensstil antisozial
unbeherrscht und impulsiv unzureichende Verhaltenskontrolle
parasitärer Lebensstil frühe Verhaltensauffälligkeiten
Fehlen von realistischen, langfristigen Ziele Jugendkriminialität
sucht den „Kick“, permantes Gefühl der Langeweile Missachtung von Regeln und Gesetzen
Verantwortungslosigkeit Kriminalität im Erwachsenenalter

Tabelle 1: Vier-Faktoren Modell der Psychopathy (nach Hare 2003) in Anlehnung an Stompe: 2003, S. 8

 

Der erfolgreiche Psychopath:

 

Viele Psychopathen sind als Kriminelle im Gefängnis, dennoch befinden sich einige mitten unter uns. Sie arbeiten oftmals in Positionen, die mit Macht, Ansehen und Geld verbunden sind. Obwohl sie ichbezogen, manipulativ und gefühlskalt sind, schaffen sie es, sich zu integrieren und nicht aufzufallen.[5]

Über die Einordnung dieser erfolgreichen Psychopathen ist man sich uneins. Manche sind der Meinung, dass die Psychopathen, die sich in Wirtschaft und Politik wiederfinden, lediglich im Ausmaß ihrer psychopathischen Eigenschaften von den kriminellen Psychopathen unterscheiden. Sie sind weniger gefühlskalt, weniger manipulativ und weniger narzisstisch veranlagt. Andere glauben, dass andere Persönlichkeitsvariablen wie ein hohes Maß an Intelligenz und Bildung dazu beitragen, die antisozialen Veranlagungen in akzeptierte Bahnen zu lenken, so dass sie von der Gesellschaft akzeptiert werden. Nach einem dritten Ansatz unterscheiden sich kriminelle und nichtkriminelle Psychopathen dadurch, welche Faktoren bei ihnen am meisten ausgeprägt sind.[6] Jedoch wie gelangen diese Personen in die obere Managementebene?

 

Welche Eigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale sind typisch für Topmanager?

Für jede Position werden gewisse Eigenschaften gefordert. Ein Vergleich anhand des BIP (Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung) von 1052 Topmanagern und 8029 Sacharbeiten und Fachkräften ergab, dass Führungskräfte im oberen Management stärker belastbar, emotional stabiler, selbstbewusster, motivierter, flexibler, handlungsorientierter, team- und kontaktfähiger sind als die Personen der Vergleichsgruppe. Gleichzeitig haben sie ein geringeres Harmoniebedürfnis und sind weniger gewissenhaft.[7] Bei einem Vergleich mit CPI (California Psychological Inventory) konnten einige Ergebnisse repliziert werden: Demnach fallen bei Managern die Faktoren Dominanz, Flexibilität, Selbstkontrolle sowie Leistungsmotivation höher aus. Bei anderen Merkmalen jedoch widersprechen sie den Resultaten des BIP. Es konnte weder ein geringeres Harmoniebedürfnis, noch eine verminderte Gewissenhaftigkeit festgestellt werden.[8] Diese Eigenschaften sind einerseits Teil des Anforderungsprofils der Stelle, andererseits entsprechen sie den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Personen, die sich auf eine solche Stelle bewerben.[9]

 

Warum sind so viele Psychopathen in Führungspositionen zu finden?

Der Anteil von Psychopathen in der Gesamtbevölkerung wird auf 1% geschätzt.[10] In der US-amerikanischen Wirtschaft jedoch auf ganze 8%, wobei davon viele in höheren Positionen zu finden sind.[11] Wie aber kommt es dazu?

Dies liegt an den positiven Eigenschaften, die Unternehmen Psychopathen zuschreiben. Zu diesen gehören beispielsweise Kreativität, gute Kommunikationskünste und strategisches Denken.[12] Gleichzeitig ziehen die Anforderungen, die an Topmanager gestellt werden, Psychopathen an. Oftmals wird sogar eine gewisse Dominanz erwünscht,[13]  sowie ein Mindestmaß an Skrupellosigkeit vorausgesetzt.[14] Dabei werden die negativen Folgen dieser Eigenschaften ausgeblendet oder schlicht in Kauf genommen. Schließlich sind Psychopathen weder teamtauglich noch sozial kompetent.[15] Auf der anderen Seite führt das manipulative Wesen von Psychopathen dazu, dass sie oftmals in Einstellungstests als genau passend wahrgenommen werden. Sie geben Eigenschaften vor und fälschen ihren Lebenslauf, um genau ins Anforderungsprofil zu passen. Da sie Meister im Lügen und Täuschen sind, ist es schwierig sie als Psychopathen zu erkennen.[16] Gleichzeitig ist es schwierig zwischen erwünschten Eigenschaften wie Dominanz, Karriereorientierung, Belastbarkeit, Selbstbewusstsein und Risikobereitschaft und deren unerwünschter Extreme wie aggressivem Verhalten und Egoismus zu differenzieren. Es ist demnach eine Gradwanderung, Personen mit den passenden Merkmalen auszuwählen. [17] Dies belegt auch eine Studie von Babiak et al aus 2010[18], in der 203 Personen unterschiedlicher Managementebenen auf ihre psychopathischen Eigenschaften untersucht wurden.[19] Dabei zeigte sich, dass 8 Personen nach dem PCL-R (einem Test zur Identifikation von Psychopathen) als Psychopath eingestuft werden müssen.[20] Interessant ist wie Personen mit hohen Psychopathie Werten von ihren Vorgesetzten eingeschätzt werden. Diese beschreiben sie als kommunikativ und kreativ, aber auch als nicht teamfähig und nur schlecht in Führungsaufgaben.[21]

 

 

Abschließend lässt sich festhalten: Egal ob es 4, 8 oder 12% sind, es gibt die Psychopathen, die sich als Kollegen, Vorgesetzte und Manager unter uns befinden. Allerdings sollten keine voreiligen Schlüsse gezogen werden. Nur weil jemand nicht die Wahrheit sagt, aufbrausend ist oder andere psychopathische Züge aufweist, ist er noch lange kein Psychopath. Dafür sind alle 20 Merkmale und eine ausführliche Diagnose notwendig. Sollte der Verdacht aufkommen, bleibt offen wie man sich verhalten oder schützen sollte um kein Opfer zu werden. Wen dies interessiert, dem sei das Buch von Hare „Gewissenlos – Die Psychopathen unter uns“[22] ans Herz gelegt.

 

 

[1]Vgl. Defiebre, N./ Köhler, D.: 2012, S. 13 (Hare 2003)

[2]Vgl. Defiebre, N./ Köhler, D.: 2012, S. 16 f.

[3]Vgl. Defiebre, N./ Köhler, D.: 2012, S. 23

[4]Vgl. Babiak, P./ Hare, R. D.: 2007, S. 16

[5]Vgl. Defiebre, N./ Köhler, D.: 2012, S. 47

[6]Vgl. Defiebre, N./ Köhler, D.: 2012, S. 48 f.

[7]Vgl. Hossiep, R./ Ringelband, O.: 2014, S. 22

[8]Vgl. Hossiep, R./ Ringelband, O.: 2014, S. 22 f.

[9]Vgl. Hossiep, R./ Ringelband, O.: 2014, S. 23 f.

[10]Vgl. Babiak P./ Hare, R.D.: 2007, S. 15

[11]Vgl. Defiebre, N./ Köhler, D.: 2012, S. 58 f.

[12]Vgl. Babiak et al.: 2010, S. 189

[13]Vgl. Hossiep, R./ Ringelband, O.: 2014, S. 24

[14]Vgl. Defiebre, N./ Köhler, D.: 2012, S. 59

[15]Vgl. Defiebre, N./ Köhler, D.: 2012, S. 59 f.; Hossiep, R./ Ringelband, O.: 2014, S. 22

[16]Vgl. Defiebre, N./ Köhler, D.: 2012, S. 60

[17]Vgl. Hossiep, R./ Ringelband, O.: 2014, S. 24 – 26

[18]Vgl. Babiak, P. et al.: 2010, S. 190 f.

[19]Vgl. Babiak, P. et al.: 2010, S. 178 f.

[20]Vgl. Babiak, P. et al.: 2010, S. 182 f.

[21]Vgl. Babiak, P. et al.: 2010, S. 189

[22] Vgl. Hare, R.D.: 2005

 

Literaturverzeichnis

Babiak, P./ Hare, R. D./ Proß-Grill, I. (2007) Menschenschinder oder Manager. Psychopathen bei der Arbeit. München. Hanser.

Babiak, P./ Neumann, C. S./ Hare, R. D. (2010).  Corporate psychopathy. Talking the walk. In: Behavioral sciences & the law 28 (2) S. 174–193.

Defiebre, N./ Köhler, D. (2012) Erfolgreiche Psychopathen? Zum Zusammenhang von Psychopathie und beruflicher Integrität. Frankfurt a. M. Verlag für Polizeiwissen.

Hare, R. D. (2003) The Hare Psychopathy Checklist- Revised. 2. Auflage. Toronto. Multi-Health-Systems.

Hare, R. D. (2005) Gewissenlos. Die Psychopathen unter uns. Wien. Springer.

Hossiep, R./ Ringelband, O. (2014) Psychopathische Persönlichkeitsfacetten im Top-Management: Persönlichkeitseigenschaften und Derailment-Risiken von Top-Managern. In: Wirtschaftspsychologie 2014 (Heft 3). S. 21–27. Online verfügbar unter https://www.researchgate.net/profile/Olaf_Ringelband/publication/273956620_Psychopathische_Personlichkeitsfacetten_im_Top-Management_Personlichkeitseigenschaften_und_Derailment-Risiken_von_Top-Managern/links/551164140cf29a3bb71dad39/Psychopathische-Persoenlichkeitsfacetten-im-Top-Management-Persoenlichkeitseigenschaften-und-Derailment-Risiken-von-Top-Managern.pdf. Zugriff am 15.09.2017.

Stompe, T. (2009) Psychopathie – Geschichte und Dimensionen. In: Neuropsychiatrie (Band 23, Nr. S1/2009) S. 3–9.

 

Bildnachweis

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